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259. Wie Friedrich der Große sich hat wecken lassen.
Friedrich der Große arbeitete oft bis in die Nacht hinein.
Einst saß er noch arbeitend an seinem Pulte, als die Mitternachts¬
stunde schon geschlagen hatte. Da trat sein Kammerdiener Heise
in das Zimmer. Dieser stand bei Friedrich in großer Gunst und
konnte sich schon erlauben, was ein anderer nicht wagen durfte.
Jetzt erinnerte er den König, daß es schon spät und Zeit zur
Ruhe sei. Der König sagte: „Ich habe da eine wichtige Arbeit
vor, die keinen Aufschub leidet. Wenn ich jetzt zu Bett gehen
soll, so muß Er mich wenigstens morgen früh um vier Uhr wecken.
Ich werde dann noch schläfrig sein und nicht aufstehen und Ihn
wieder wegschicken wollen. Aber ich befehle Ihm, daß er sich
nicht abweisen läßt. Wenn ich nicht aufstehen will, so kann Er
die Bettdecke wegziehen. Hört Er?“
Mit dem Schlage vier trat Heise ein. Der König schlief sanft
und fest. Aber der treue Diener weckte ihn mit lauter Stimme.
Der König schlug die Augen auf und sprach: „Es ist mir leid
geworden; ich muß noch zwei Stunden schlafen; komme Er um
sechs Uhr wieder!“
„Ew. Majestät aber haben befohlen!“ sagte Heise.
„Schäker!“ rief der König, „Er hört es ja, ich will nicht!“
„Majestät müssen!“ antwortete Heise und zog die Bettdecke
weg.
Nun stand der König auf, und als er noch schlaftrunken
gähnte und sieh reckte, rief er aus: „Ach Gott, wäre ich doch
kein König geworden!“ Eyiert.
260. Kaiser Wilhelm I. am Feilster.
AIs eines Morgens im Schlosse zu Berlin der Leibarzt dem
Kaiser einen Besuch machte, stand dieser wie zerstreut am Fenster,
ohne, wie sonst, dessen Gruß zu erwidern. Erstaunt wartete der
Doktor auf eine Erklärung. Da wendete sich der Kaiser plötzlich um
und sagte, den Leibarzt zu sich heranwinkend, freundlich: „Entschuldigen
Sie meine anscheinende Zerstreutheit. Aber ich bemerkte beim Hinaus¬
sehen einen Bauer, der gewiß weit her gekommen war, um den Kaiser
zu sehen, und fein Söhnchen dazu mitgebracht hatte, das er hoch
empor hielt. Da mußte ich doch länger am Fenster stehen bleiben,
um den guten Leuten nicht die Freude zu verderben."
Lcstb. f. b. Rheinprovinz.