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der Abgrund öffnet und schließt sich aufs neue; da wagen sie ihn zu
überschreiten; aber der klaffende Schlund, abermals sich öffnend, erhascht
den Vater und reißt ihn hinab, und der Schreck, stärker als die Liebe,
treibt die Getrennten schreiend in die Flucht. So stürzen Tausende
durch die Straßen mit Geheul der Verzweiflung und sehen im vor¬
übereilenden Laufe die Kirchen mit ihren Türmen, die Paläste der
Großen, die prächtigen Häuserreihen ihrer Straßen wanken, zerreißen
und. in Trümmern umhergeschleudeA den Weg bedecken und ihr Leben
bedrohen. Sie treten ins Freie, — doch wo wollten sie der empörten
Erde entrinnen! Sie sehen sie, dem Meere gleich, in schrecklichen Krüm¬
mungen sich wechselnd heben und senken, sie sehen da. dort sie zer¬
reißen und aus der Tiefe Wasserströme turmhoch emporstoßen. Sie eilen
an das Ufer des Meeres, — es siedet und brauset, es eilt blitzschnell
von dem erschütterten Lande weit, weit zurück und läßt die über¬
raschten. verwirrten Fische am Boden. — Aber sieh, mit gewaltigen
Wogenbergen stürzt es schneller wieder herbei, und niemand vermag
seinem Anlaufe zu entfliehen; meilenweit bedeckt es das Land und
begräbt, was die offene Erde nicht verschlang, die jammernden Menschen
und ihre zertrümmerten Wohnungen in seiner Tiefe.
182. (204.) Die Wafferhose.
(Theodor Diclitz.)
Die Wasserhose ist eine der schrecklichsten Erscheinungen, denen
der Schiffer in den Meeresgegendeu am Äquator ausgesetzt ist. An
der Westküste Afrikas wird sie häufiger und in größerer Ausdehnung
bemerkt als irgendwo sonst auf dem Ocean. Sie kommt nicht immer
unter derselben Gestalt zum Vorscheine; zuweilen bleibt sie über einem
Orte schwebend stehen, während sie sich ein andermal mit abwech¬
selnder Schnelligkeit vorwärts fortbewegt. Ehe sich eine Wasserhose
Zeigt, wird die See, so ruhig sie auch bisher gewesen sein mag, genau
an der Stelle, wo jene zum Vorscheine kommen soll, auf einmal
uußerst stürmisch, und es beginnt ein fürchterliches Brausen und Sieden
unter lärmendem, wirbelndem Gekrache. Bald bemerkt man eine
trichterförmige Röhre, die aus den herabschwebenden Wolken herunter¬
steigt und sich mit den aufrührerischen Meereswogen verbinden zu
wollen scheint. Zuweilen geschieht dies auch in der That, wenigstens
kommt es uns manchmal so vor; meistenteils aber ist das nicht der
Fall. Unterdessen wird das Meer immer stürmischer, die Röhre wird
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