Full text: [Teil 7 = (8. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 7 = (8. Schuljahr), [Schülerband])

kranke Köpfe und herzen gründlich ausfegt, wer nirgends fernen Frie¬ 
den mehr finden konnte, der findet ihn im Urwald — als Bauer, 
und zwar nicht als faulenzender (Ökonom, sondern als Bauer im Wort- 
finne, der Schwielen in den Händen hat und im Schweiße seines Un¬ 
gesichts sein saures Brot ißt. Ls liegt für den Staatsmann ein be¬ 
deutender Fingerzeig in dieser Tatsache, daß die abgestandenen Teile 
der Gesellschaft zuletzt in Bauernleben und Bauernsitte sich wieder 
erfrischen. 
Wilhelm Heinrich Riehl. 
49. Die Spinnstube. 
Der Mittelpunkt heiterer Geselligkeit in der herbstlichen und win¬ 
terlichen Nbgeschiedenheit des Dorfes, ein <vrt, wo dem Jungvolk 
Lust und Liebe lachte, ob es da draußen stürmte oder schneite und 
fror — das war und ist stellenweise noch heute die Spinnstube. 
Vas Spinnen ist unserm Volk eine altvertraute Kunst. L§ gab 
eine Zeit, wo selbst Fürstinnen und Fürstentöchter spannen. Göttinnen 
waren spinnende Frauen und besuchten die Spinnstuben, und ein 
treuherziges deutsches Volkslied läßt selbst im Zimmermannshaus zu 
Nazareth Maria das Spinnen und Jesus das Haspeln verstehen. Bis 
ins 19. Jahrhundert war der Leinenschatz ein Stolz der Bauerfrauen 
und der Bauerntöchter. Sn verschiedenen Gegenden Deutschlands steht 
noch heute auf dem Nussteuerwagen vor der Braut das geschmückte 
Spinnrad, ein Sinnbild des häuslichen Fleißes. Im Landkreis Hildes¬ 
Heim gehörte ,/n Foire Nuchflaß" (ein Fuder Nauhflachs) mit Haspel 
und bändergeschmücktem Spinnrad oben darauf zur Nussteuer. 
So bildete das Spinnen einen wichtigen Bestandteil der länd¬ 
lichen winterarbeit. Ihre eigentliche Bedeutung aber erhielten die 
Spinnstuben durch die mit der Nrbeit Hand in Hand gehende Pflege 
der Geselligkeit und der alten volksüberlieserungen. Nuch die land¬ 
schaftlich sehr wechselnden Bezeichnungen der Spinnstube deuten zum 
Teil diese ihre Beziehungen zum geselligen Leben an. Im waldeckschen 
spricht man vom „Spinnengehn" und nennt die Mädchen und Bur¬ 
schen, die in den Spinnstuben zusammentreffen, „Spinnmäkens" und 
„Spinnknechte". In der Nähn heißt die Bäuerin, die gerade die 
Spinnstube hält, die „Spinnfrau". In der Nltmark bilden die zu einer 
Spinnstube vereinigten Mädchen eine „Spinnkoppel", im Lüneburgischen 
einen „Zpinnklumpen". Im Kreise Langensalza haben wir die „Spinn¬ 
ten", in Böhmen und Schlesien die „Nock-" oder „Nockenstube", in 
Sachsen-Koburg die „Nöcknerei", in Schwaben und im Llsaß die „Kun-
	        
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