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„Potte, ich will dir was sage: wenn du mir offc und ehrlich
bekennst: ja, Frau Stehle, ich bekomm' nit genug zu esse — dann
kriegst wieder alle Tag deinen Nachmittagskaffee. Überleg' dir's,
ich laß dir Zeit."
Sk faßte einen frischen Stahl und wandte dem polde den Nucken,'
als sie sich umsah, war er nicht mehr da.
Tin wenig Schnee lag auf den kahlen Asten der Bäume drüben
aus dem Schloßplatz; ein schneidender wind kämpfte mit dem von
Schneeflocken untermischten Negen, der prasselnd gegen die Straße
schlug. Pfützen und Schmutz, wohin das Kuge sah, und kein Mensch
weit und breit. Der polde stand da, triefend vor Nässe mit einge¬
zogenen Knien, die vor Kälte schlotterten. Nber sein Gesichtchen
sah ganz zufrieden aus; etwas unbeschreiblich Mitleidiges lag darin;
er sah aus den Hund nieder, der so nahe bei ihm lag, daß er ihn
hätte mit der Hand erreichen können. Nllein polde rührte sich nicht;
fürchtete er, durch eine Bewegung, durch ein Übereilen das schwer
errungene vertrauen des Hundes zu verscherzen? Nicht einmal ein
Zucken der tiefschwarzen Augenwimpern, die das einzig Schöne in
des Knaben Gesicht waren, verriet, was in seinem Innern vorging.
Er sang ein Schullied mit zarter heiserer Stimme, und der Hund
winselte dazu.
Frau Stehle, die ihm nachgegangen war, konnte dieser elenden
kleinen Stimme nicht lange zuhören, sie ging flugs ins Haus zurück,
indem sie sich mit der Hand wie verstohlen über die Wangen fuhr.
Zu Weihnachten sollte der braven Frau Stehle noch eine neue
Enttäuschung blühen; sie hatte sich gefreut, den Buben recht zu
beschenken; zu dem Nnzug sollte er ein paar Strümpfe bekommen,
alte, noch gute Schuhe, ein Hemd und sogar einen farbigen Schlips,
den ihr Mann noch ganz gut hätte tragen können.
polde nahm alles hin, ohne eine Miene zu verziehen, nicht
einmal der große Lebkuchen und die roten Apfel vermochten ihm
ein Lächeln zu entlocken. Er sagte „Danke" und lief so gleichgültig
mit seinen Sachen davon, als ob sie ihn nichts angingen.
„Der Kerl hat mir die ganz' Weihnacht verdorbe," beklagte
sich Frau Stehle bei ihrem Mann, „ich kann nit lebe mit so einer
Natur, ich kann's halt nit, ich muß Mensche um mich habe, die
lache könne und rede — so ein Duckmäuser macht mich ganz krank.
Ich will ja gar nit emal von Dank sage, aber doch ein bißle Freud',
ein bißle Freud' will man doch sehe, wenn man sich den Schlaf
abgespart hat, um so ein Kind rauszustaffiere" —
„Nein," fuhr sie ihrem Mann ins Wort, der sie zu besänftigen