Full text: [Teil 7 = (8. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 7 = (8. Schuljahr), [Schülerband])

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„Potte, ich will dir was sage: wenn du mir offc und ehrlich 
bekennst: ja, Frau Stehle, ich bekomm' nit genug zu esse — dann 
kriegst wieder alle Tag deinen Nachmittagskaffee. Überleg' dir's, 
ich laß dir Zeit." 
Sk faßte einen frischen Stahl und wandte dem polde den Nucken,' 
als sie sich umsah, war er nicht mehr da. 
Tin wenig Schnee lag auf den kahlen Asten der Bäume drüben 
aus dem Schloßplatz; ein schneidender wind kämpfte mit dem von 
Schneeflocken untermischten Negen, der prasselnd gegen die Straße 
schlug. Pfützen und Schmutz, wohin das Kuge sah, und kein Mensch 
weit und breit. Der polde stand da, triefend vor Nässe mit einge¬ 
zogenen Knien, die vor Kälte schlotterten. Nber sein Gesichtchen 
sah ganz zufrieden aus; etwas unbeschreiblich Mitleidiges lag darin; 
er sah aus den Hund nieder, der so nahe bei ihm lag, daß er ihn 
hätte mit der Hand erreichen können. Nllein polde rührte sich nicht; 
fürchtete er, durch eine Bewegung, durch ein Übereilen das schwer 
errungene vertrauen des Hundes zu verscherzen? Nicht einmal ein 
Zucken der tiefschwarzen Augenwimpern, die das einzig Schöne in 
des Knaben Gesicht waren, verriet, was in seinem Innern vorging. 
Er sang ein Schullied mit zarter heiserer Stimme, und der Hund 
winselte dazu. 
Frau Stehle, die ihm nachgegangen war, konnte dieser elenden 
kleinen Stimme nicht lange zuhören, sie ging flugs ins Haus zurück, 
indem sie sich mit der Hand wie verstohlen über die Wangen fuhr. 
Zu Weihnachten sollte der braven Frau Stehle noch eine neue 
Enttäuschung blühen; sie hatte sich gefreut, den Buben recht zu 
beschenken; zu dem Nnzug sollte er ein paar Strümpfe bekommen, 
alte, noch gute Schuhe, ein Hemd und sogar einen farbigen Schlips, 
den ihr Mann noch ganz gut hätte tragen können. 
polde nahm alles hin, ohne eine Miene zu verziehen, nicht 
einmal der große Lebkuchen und die roten Apfel vermochten ihm 
ein Lächeln zu entlocken. Er sagte „Danke" und lief so gleichgültig 
mit seinen Sachen davon, als ob sie ihn nichts angingen. 
„Der Kerl hat mir die ganz' Weihnacht verdorbe," beklagte 
sich Frau Stehle bei ihrem Mann, „ich kann nit lebe mit so einer 
Natur, ich kann's halt nit, ich muß Mensche um mich habe, die 
lache könne und rede — so ein Duckmäuser macht mich ganz krank. 
Ich will ja gar nit emal von Dank sage, aber doch ein bißle Freud', 
ein bißle Freud' will man doch sehe, wenn man sich den Schlaf 
abgespart hat, um so ein Kind rauszustaffiere" — 
„Nein," fuhr sie ihrem Mann ins Wort, der sie zu besänftigen
	        
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