Full text: Prosalesebuch für Obertertia und Untersekunda der Vollanstalten oder Klasse II und I der Realschulen (Teil 5, [Schülerband])

Die zweite große Aufgabe, welche Stein sich stellte, war die 
Vollendung der Staatseinheit. Er hatte aus den Verhandlungen 
der Pariser Nationalversammlung die Notwendigkeit eines zentrali¬ 
sierten Kastenwesens, aus der Verwaltungsorganisation des Ersten 
b Konsuls die Vorzüge einer übersichtlichen Einteilung der Staats¬ 
geschäfte kennen gelernt und schon vor dem Kriege die Einsetzung 
von Fachministern für den gesamten Staat empfohlen. Das wunder¬ 
liche Nebeneinander von Provinzial- und Fachministern genügte nicht 
mehr für die Bedürfnisse der modernen Verwaltung. War doch die 
io ängstliche Schonung der landschaftlichen Eigentümlichkeiten während 
der letzten Jahrzehnte so weit getrieben worden, daß die Beamten 
der alten Schule die preußische Monarchie geradezu einen Föderativ¬ 
staat nennen konnten. Bei näherer Prüfung ergab sich indes, wie 
gesund und lebensfähig die Verwaltungsordnung Friedrich Wilhelms I. 
noch immer war. Nun man sich anschickte, sein Werk weiterzuführen, 
lernte man den sicheren Blick des alten gestrengen Organisators erst 
völlig würdigen; Echoen pries ihn gern als Preußens größten inneren 
König. Nicht ein Umsturz, nur die Fortbildung und Verein¬ 
fachung der alten Institutionen wurde beschlossen. Das Gesetz vom 
2016. Dezember 1808 über die veränderte Verfassung der obersten 
Staatsbehörden stellte fünf Fachminister, für das Innere, die Finanzen, 
das Auswärtige, den Krieg und die Justiz, an die Spitze der ge¬ 
samten Staatsverwaltung und vereinigte die alten Generalkassen zu 
einer Generalstaatskasse unter der Leitung des Finanzministers. 
2b Durch die Einsetzung der Fachminister war das Generaldirektorium 
beseitigt. Dagegen blieben die altbewährten Kriegs- und Domänen¬ 
kammern unter dem neuen Namen „Regierungen" bestehen. Man 
trennte Rechtspflege und Verwaltung vollständig und nahm den 
Regierungen die Gerichtsgeschäfte der alten Kammern; man säuberte 
so sie von unbrauchbaren Mitgliedern, erleichterte den Geschäftsgang und 
gab dem Präsidenten und den Dezernenten für die einzelnen Fächer 
größere Selbständigkeit. Jedoch die Vorzüge des deutschen Kollegial¬ 
systems, Unparteilichkeit und sorgsame Berücksichtigung aller Verhält¬ 
nisse des einzelnen Falles, standen in Steins Augen zu hoch, als 
35 daß er sie gegen die raschere Beweglichkeit der bureaukratischen 
Präfektenverwaltung hingegeben hätte. Die Mittelstellen der preußischen 
Verwaltung blieben Kollegien und haben in dieser Gestalt noch durch 
zwei Menschenalter ersprießlich gewirkt. Statt des leeren Schau¬ 
gepränges der Generalräte, die den napoleonischen Präfekten mit 
unmaßgeblichem Beirat zur Seite standen, verlangte der deutsche
	        
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