Full text: Prosalesebuch für Obertertia und Untersekunda der Vollanstalten oder Klasse II und I der Realschulen (Teil 5, [Schülerband])

Staatsmann vielmehr eine tätige, regelmäßige Teilnahme der Nation 
an den Geschäften der Verwaltung; dann ströme den Männern am 
grünen Tische ein aus der Fülle der Natur genommener Reichtum 
von Ansichten und Gefühlen zu, und im Volke belebe sich der Sinn 
für Vaterland, Selbständigkeit, Nationalehre. * 
Steins soziale Reformen und die Befestigung der Staatseinheit 
gingen hervor aus der selbständigen, eigentümlichen Durchbildung 
von Gedanken, welche seit dem Ausbruche der Revolution in der 
Luft lagen und allen hellen Köpfen des preußischen Beamtentums 
als ein Gemeingut angehörten. Eine durchaus schöpferische Tat, das 10 
freie Werk seines Genius, war dagegen die Städteordnulig vom 
19. November 1808. Als die letzte und höchste Aufgabe seines 
politischen Wirkens erschien ihm die Erhebung der Nation aus der 
dumpfen Enge ihres häuslichen Lebens; er wollte sie erziehen zu 
gemeinnütziger Tätigkeit, zu kräftigem Handeln. Ein glücklicher prak- « 
tischer Blick hieß ihn sein Werk bei den Städten beginnen. Erst wenn 
unter der gebildeten städtischen Bevölkerung wieder ein selbständiges 
Eemeindeleben erwacht war, konnten den rohen, soeben erst der Erb¬ 
untertänigkeit entwachsenen Bauern die Rechte und Pflichten der 
Selbstverwaltung auferlegt werden. Die Städte erhielten die selbständige ao 
Verwaltung ihres Haushalts, ihres Armen- und Schulwesens und 
sollten auf Verlangen des Staates in seinem Namen auch die Geschäfte 
der Polizei besorgen. Die alten buntscheckigen Abstufungen des 
Bürgerrechts fielen hinweg wie die Vorrechte der Zünfte. Die Ein¬ 
wohner der Städte zerfielen nur noch in zwei Klassen, Bürger und 25 
Schutzverwandte. Wer das leicht zu erwerbende Bürgerrecht erlangt 
hatte, war verbunden zur Übernahme aller Gemeindeämter; denn 
war die Freiheit des Eigentums ein leitender Gedanke der Steinschen 
Gesetze, so nicht minder der Grundsatz, daß der Eigentümer dem 
Gemeinwesen zum Dienst verpflichtet sei. Ein erwählter Magistrat, 30 
aus unbesoldeten und wenig besoldeten Mitgliedern zusammen¬ 
gesetzt, und eine von der gesamten Bürgerschaft nach Bezirken ge¬ 
wählte Stadtverordnetenversammlung leiteten die städtische Ver¬ 
waltung. 
Die Reform erscheint um so bewundernswürdiger in ihrer ein- 35 
fachen Klarheit und Zweckmäßigkeit, als Stein nirgends in Europa 
ein Vorbild fand. Jetzt erst erhielt die Staatsverwaltung in dem 
Städtewesen einen kräftigen Unterbau, der ihrem eigenen staatlichen 
Charakter entsprach. Aber auch diese segensreiche Reform mußte der 
Nation erst durch den Befehl des Königs aufgezwungen werden. Wie to
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.