6. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst.
Ludwig Häusser. Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur
Gründung des deutschen Bundes. Bd. F. Berlin 1861.
Der einzige Staat, der aus der Zerrüttung des Dreißigjährigen
Krieges sich aufrichtete, in dem die Wunden des Krieges am raschesten
vernarbten, der Staat, in dem ein weises und schöpferisches Regiment
mit bürgerlicher Arbeit und kriegerischer Kraft harmonisch zusammen-
5 wirkte zum Gedeihen des Ganzen, dieser Staat war Brandenburg-
Preußen und sein Regent Friedrich Wilhelm der einzige Fürst jener
Zeiten, der, frei von den schlimmen Einflüssen freipder Nachahmung,
kerndeutsch und tüchtig, die wohltätigen Wirkungen der fürstlichen
Absolutie in großen Ergebnissen veranschaulichte. Ein solches Staats-
wesen, über den größten Teil des deutschen Nordens, vom Riemen
bis zum Rhein zwar nur sporadisch ausgebreitet, aber doch wieder
so verzweigt, daß eine rivalisierende Macht dort nicht leicht auf¬
kommen konnte, von einem arbeitsamen, nüchternen, kriegstüchtigen
Volke bewohnt, im Gegensatze zur habsburgischen Macht auf-
i5 gewachsen und mit allen den Elementen natürlich verbunden, die dazu
in Opposition standen, mußte die ganze Gestalt der deutschen Dinge
verändern. Dasselbe schuf ein vollständiges Gegengewicht gegen die
habsburgisch-österreichischen Einflüsse, es sprengte erst durch seine Macht¬
entfaltung die Form des alten Reiches, es legte den Grund zu einer
20 dualischen Entwickelung der Dinge, deren bestimmende Macht bis über
die Mitte unsres Jahrhunderts fortgedauert hat. Aber es entwickelte
zugleich im Innern die Keime bürgerlicher und staatlicher Entfaltung,
die anderwärts teils zertreten waren, teils unentwickelt blieben.
In einer Zeit, wo eine Menge fürstlicher Kräfte entweder in
25 der Verwilderung eines furchtbaren Krieges untergingen oder der
französischen Nachahmerei verfielen, stellte der Brandenburger Kur¬
fürst fast einzig das Muster eines deutschen Fürsten auf, der die
verderblichen Einflüsse der Zeit von sich ferngehalten hat. Unter
Sorgen und Mühen aufgewachsen, aber an Leib und Seele gesund
so erhalten, hatte er früh gelernt, sich selbst zu beherrschen, Vorsicht
und Entschlossenheit zu üben und der eigenen Leidenschaften Meister
zu werden. Friedrich Wilhelm war nicht in der Überlieferung spanischer
Staatskunst aufgewachsen wie die Habsburger, noch hatte ihn die
Schule des französischen Absolutismus verdorben. Weder Nom und
ss Madrid noch Versailles hatten auf ihn eingewirkt; er verlebte seine
Jugend unter den Eindrücken holländischer Freiheit und Macht, die
damals auf dem Höhepunkte standen. Der Anblick eines rührigen,