Friedrich Leopold Graf zu Stolberg. 55
den Gipfeln die Erde, aber ohne große, oft ohne einige Verheerungen
anzurichten; der Boden beruhigt sich, wie das Meer, wenn der Sturm
nachläßt. Begegnen sich aber verschiedene Erschütterungen, so vereinigen
sie sich in einer wirbelnden Bewegung, welche Ströme hemmt und Berge
zerreißt.
Das Erdbeben war hier desto fürchterlicher, da die Berge, aus
fester Thonerde bestehend, der unterirdischen Gewalt, die in gegenein—
andergekehrten Richtungen sie faßte, widerstrebten. Wir sahen Berge,
welche von oben bis unten gespalten mit auseinanderfallenden Hälften
alte Thäler gefüllt und ein neues Thal gebildet hatten. Oft rissen sich
Theile der Erde mit ihren Pflanzungen los; mit halb entblößten Wurzeln
stehen hier am Rande des Abgrundes end Bäume, fern von
ihnen grünt gegenüber der versetzte Wald, der neben jenen aufwuchs
und jetzt von anderen Quellen getränkt wird. Ein Mann, ein Weib
und ein Maulesel wurden zusammen unbeschädigt mit dem Boden, welcher
sie trug, vom elektrischen Schlage über einen Fluß geworfen, von Ufer
zu Ufer. Ein Mann im Städtchen Seminara, der eben Citronen pflückend
auf dem Baume stand, ward mit dem Baum und mit der Erde, die
den Baum noch jetzt nährt, unverletzt weit fortgeschleudert. Manche
wurden von flutenden Erdschollen wie von Wogen einer Wasserflut ver—
folgt, ereilt, verschlungen, unbeschädigt aus geöffnetem Schlunde wieder
ausgeworfen. Selbst Ströme wurden gefangen in ihrem flüchtigen Lauf;
plötzlich entstehende Dämme verwandelten sie in Landseen, deren schädliche
Ausdünstung, da ihre stockenden Gewässer von dem lebendigen Fluß
getrennt worden, die Luft ansteckte. Ich sah einige dieser Seen, andere
sind versiegt, einige auf Unkosten des Königs ausgetrocknet worden,
einen hat man durch ausgehauene Felsen abgeleitet.
Es entstanden Rechtshändel von einer neuen Art, zwischen den
Eigenthümern der überschüttenden und den Besitzern der überschütteten
Erde; zwischen dem, welcher einen Baum gepflanzt hatte, und dem, auf
dessen Boden er nun steht. Mancher Baum steht zwischen andern, deren
Eigenthümer ungewiß sind. Ich sah einen Haufen von Oelbäumen,
welche mit der Erde, die sie nährt, aus den gereiheten Pflanzungen
weit fortgerissen, durch die wirbelnden Bewegungen zusammengedrängt,
nun eine große Laube bilden.
Oppido ward in einen Steinhaufen verwandelt. Ganze Stücke von
Mauern, die vom Erdstrudel ergriffen und gedreht, endlich mit der Erde
stehen blieben, liegen nicht flach, sondern stehen aufgerichtet, mit der
Ecke wie eingewurzelt, wie gehalten von Riesenhand Ergriffen vom
Anblich standen wir und unser Führer, ein Jüngling von 20 Jahren,
unter diesen Ruinen, staunend und wehmüthig wir, er betroffen von
schmerzlicher Erinnerung neben des väterlichen Hauses Trümmern, welche
ihn und seine Mutter fünf Stunden lang bedeckten, seinen Bruder und
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