Jahrhunderte ziehen hinab, die Jahreszeiten rollen vorüber, es wechselt die Witterung des Glücks; dir
Stufen des Alters steigen auf und nieder. Nichts ist dauernd als der Wechsel, nichts beständig als der Tod.
Jeder Schlag des Herzens schlägt uns eine Wunde, und das Leben wäre ein ewiges Verbluten, wenn nicht die
Dichtkunst wäre. Sie gewährt uns, was uns die Natur versagt: eine goldene Zeit, die nicht rostet, einen Frühling,
der nicht abblüht, wolkenloses Glück und ewige Jugend. Der Dichter ist der Tröster der Menschheit; er ist es,
wenn der Himmel selbst ihn bevollmächtigt, wenn ihm Gott sein Siegel auf die Stirne gedrückt und wenn er
nicht um schnöden Botenlohn die himmlische Botschaft bringt.
Ludwig Börne.
Willst du dichten, sammle dich,
Sammle dich wie zum Gebete,
Daß dein Geist andächtiglich
Vor das Bild der Schönheit trete;
Daß du seine Züge klar,
Seine Fülle tief erschauest
Und es dann getreu und wahr
Wie in reinen Marmor hauest.
Willst du lesen ein Gedicht,
Sammle dich wie zum Gebete,
Daß vor deine Seele licht
Das Gebild des Dichters trete;
Daß durch seine Form hinan
Du den Blick dir aufwärts bahnest
Und, wie's Dichteraugen sahn,
Selbst der Schönheit Urbild ahnest.
Adolf Stöber.