Full text: [Teil 2, Abteilung 1, [Band 1] = [Mittelstufe], [Schülerband]] (Teil 2, Abteilung 1, [Band 1] = [Mittelstufe], [Schülerband])

358 L. Beschreibende Prosa. VII. Bilder aus dem Menschenleben. 
Endlich naht der entscheidende Augenblick heran. Man stellt uns vorn an 
den Kiel der neuen Fregatte, so nah daran, daß der geteerte Bauch über un¬ 
sern Köpfen schwebt. Völlig sicher stehen wir da und bewundern diese Kunst 
der Menschen, die jeden Gedanken von Gefahr entfernt. Könnte das Schiff 
umwerfen, statt abzulaufen, so lägen hier Hunderte von uns zerschellt. Jetzt 
werden die Blöcke weggeschlagen, worauf es noch ruht; jetzt treibt man hinten 
einen Keil unter, um es dort höher zu heben; man kappt das Tau, woran es | 
noch befestigt war — und nun, als fühlte der ungeheure Körper ein eigenes 
Leben, nun fängt er an erst langsam und unmerklich, bald aber schneller sich zu 
bewegen; schon krachen unter ihm die kleinen untergelegten Bretter, und sieh! 
jetzt gleitet er mit immer zunehmender Geschwindigkeit ins Meer. Tief taucht 
sich der Schnabel ein, bis das Wasser die ganze Masse trägt; eben so tief ver¬ 
sinkt jetzt wieder das Hinterteil; die Fluten laufen hoch am Ufer hinauf, und 
die umliegenden Schiffe schwanken hin und her. Es jauchzt und frohlockt die 
Menge der Waghälse, die auf dem neuen Triton über unsern Köpfen wegfahren; 
sie schwenken ihre Hüte, und ein lauteres Jubelgeschrei vom Lande übertönt ihre 
Stimmen. So hebt sich himmelan das Herz von stolzer Freude über das Wollen 
und Vollbringen des menschlichen Geistes. 
287. Der Schloßbrand in Kopenhagen am 26. Februar 1794. 
Von Heinrich Steffens. Die Familien Walseth und Leith. Breslau, 1837. 
Des Nachmittags saß die königliche Familie in den Gemächern des rechten 
Flügels bei Tafel, als man die Nachricht brachte, daß es in dem Schlosse brenne. 
Es erregte kaum einige Unruhe. Daß ein Brand in den Ofenröhren, am Hellen 
Tage entdeckt, in einem so massiven Gebäude gefährlich werden könnte, vermochte 
man sich nicht vorzustellen. Einen ähnlichen geringen Eindruck machte das Ge¬ 
rücht, welches sich sehr schnell in der Stadt verbreitete. Nach kurzer Zeit drang 
aber in die königlichen Gemächer und fast eben so bald durch die Stadt die 
beunruhigende Nachricht, daß der Brand aus eine sehr bedenkliche Weise überhand 
nehme; das Feuer zeige sich an mehreren Orten zugleich. Jetzt geriet alles 
im Schlosse, welches von einer großen Menge höherer und niederer Beamten 
mit ihren Familien bewohnt war, in unruhige Bewegung. Das unerwartete 
Gerücht versammelte eine ungeheure Menge von Menschen, die sich jeden Augen¬ 
blick vermehrte, um das Schloß. Bald stand der rechte Flügel in vollem 
Brande, die Flammen brachen aus den mächtigen Fenstern hervor und wirbelten, 
zu einer ungeheuern Feuerwaffe zusammengedrängt, aus dem entzündeten Dache. 
Die Mitte des Schlosses und der linke Flügel lagen dunkel und düster da, und 
über ihnen schwebten drohend die Flammen. Die königliche Familie hatte das 
Schloß verlassen. Ein unermeßlicher Menschenhaufe wogte, von Erstaunen und 
Entsetzen gefesselt, auf dem weitläufigen, durch die Feuersäule erleuchteten Platze. 
Funken fielen wie ein dichter Regen auf die erhellten Häuser jenseits des Kanals, 
auf die Schiffe, auf den Platz. Hier rasselten Wagen, liefen wie betäubt Men¬ 
schen mit Kleinigkeiten, die sie gerettet hatten, ertönte das dumpfe Geschrei, 
während die Polizeidiener die Rettenden wie die bloß Neugierigen ergriffen, damit 
sie Reihen bildeten, die das Wasser in Schläuchen von dem Kanäle bis zu den 
Spritzen sich reichen sollten. In dem großen Portale des Schlosses waren 
Wagen, Spritzen, Menschen zusammengedrängt, ein verworrenes Geschrei, eine ' 
mehr störende als fördernde Anstrengung, zwecklos nach allen Richtungen. Die 
befehlenden Anführer vermochten kaum einige Ordnung in dieses Chaos zu
	        
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