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B. Lyrisch epische Poesie.
Im Quell der Dichtung wird euch viel beschert.
Da sprudelt Freiheit, Liebe, Glück und Jugend;
Eia Becher ohne Hefe wird geleert,
Sein lautrer Trank hat seltne Kraft und Tugend.
Der Blick ins Leben selber wird verklärt:
Nicht mehr mit hohlem Aug' inS Schwarze lugend,
Bringt einen Strahl ihr von erträumter Sonne
Ins Erdendunkel aus des Liedes Bronne.
Und dieser Strahl durchschimmert alle Welt,
Und dieser Strahl durchleuchtet die Geschichte;
Wohin ein Streiflicht seines Glanzes fällt,
Wird alles Grau der Schatten schnell zum Lichte.
Gustav Schwab. (1832.}
IV. Romantisches Kunstepos. (Aventüre.)
8. Aus „Roland". (1809.)
Don Friedrich v. Schlegel. Roland. Ein Heldengedicht in Romanzen nach TurpiuS Chronik. Werke.
Wien, 1823.
Die dem Turpin, welchen Karl der Große zum Erzbischof von Rheims erhob, zuge¬
schriebene sagenhafte Chronik ist wahrscheinlich erst im 11. Jahrhundert verfaßt worden.
a. Rolands Kampf mit Ferracut.
Boten kamen, bei Nagera
Sei ein Riese, Ferracut,
Fern von Babylon gekommen,
Aus des Goliath Stamm und Blut.
5 Gen Nagera eilt der Kaiser,
Zu umlagern solche Burg.
Prahlend tritt der Nies' hervor,
Läßt erschallen seinen Ruf,
Fordert Zweikampf von den Christen,
10 Schmähend laut in wilder Wut.
Kraft hat er wie vierzig Männer,
at vor keinen Waffen Furcht,
äne Ogier war der erste,
Der das Abenteu'r versucht.
15 Da der Riese ihn erblicket,
Kommt er sachte angeruckt.
Streckt nach ihm die lange Rechte
Und ergreifet ihn beim Rumpf,
Hat ihn unterm Arm verwahret;
20 Jenem ward nicht wohl zu Mut.
Ihn mit allen seinen Freunden
Wie ein zartes Lamm er trug,
Geht damit vor aller Augen
Stracks hinauf zu seiner Burg.
25 Seine Länge maß zwölf Ellen
Und die Nase einen Fuß,
Arm und Schenkel maßen eben
An drei Ellen gern und gut.
Dann Rainold von Alba Spina
30 Trägt er wieder in den Turm.
Constantin von Griechenlande,
Einen Grafen noch dazu,
Trug er beide, unter jedem
Arme einen, durch die Flur,
35 Sperret ein sie zu den andern
Und noch manchen Ritter gut.
Alle staunten, Kaiser Karlen
Muß entsinken wohl der Mut.
Ritter Roland konnt' es länger
40 Nun nicht tragen mit Geduld.
Nur nach langem Bitten, Harren
Spricht das Ja des Kaisers Mund.
Wie Roland dem Niesen nahet,
Greift ihn der auf einen Zug;
45 Mit der Rechten nur ihn setzend
Vor sich auf den Mähnenbusch
Seines Rosses, trabt er eilend
Wieder nach dem Thor der Burg.
Doch der Ritter, Gott vertrauend,
50 Sammelt seine Kraft zur Stund',
Griff ihn wacker bei dem Barte,
Warf ihn hinten auf den Grund.
Beide lagen sie am Boden,
Beide sprangen gleichen Muts