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Gestattet mir, den Schuß zu proben!
Ihr sollt den bessern Schützen loben.“
Es winkt der Herr, die Bahn wird leer. 75
Rings steht das Volk, ein brausend Meer;
Durch alle schwirrt ein leiser Ton,
Mitleid bei Fraun, bei Männern Hohn,
Und nur dem Förster bange pochte
Das Herz, wie er's auch hehlen mochte. 80
Der fremde Jüngling neigt sich hold,
Daß ihm der Locken sonnig Gold
Als Schleier vor den Augen weht;:
Dann steht er aufrecht, fest und stät,
Wirft Haupt und Haar sich in's Genick 85
Und mißt die Bahn mit freiem Blick.
Die Armbrust faßt er nun mit Kraft;
Es war von Ebenholz ihr Schaft,
Der Bügel, blau von Stahl und blank,
Wie eine Glocke hell erklang. 90
Mit Sorgfalt prüft der Schütz die Sehne,
Ob sie sich leicht und fügsam dehne;
Selbst hat er sie in Winterstunden
Aus wilden Marders Darm gewunden.
Inmitten, wo die Sehne faßt 95
Des Bolzes tödlich schwere Last,
Da schürzt, daß nicht im Schuß sie
springe,
Zum Knoten er die Doppelschlinge.
Und als die Spannung wohl vollbracht,
Die Sehne schnellt er nun mit Macht; 100
Laut wie der Harfe höchste Saite
Erklang der schneid'ge Ton ins Weite.
Nun aus dem Köcher nimmt er Bolze,
Geschnitzt aus festem Eichenholze;
Er wählt den glättesten, der scharf 105
Gekantet blanke Lichter warf.
Er setzt den Bogen vor die Brust,
Er spannt ihn leicht mit stolzer Lust,
Und staunend sahn die Schützen an
Den starken Arm bei zartem Mann. [I110
Wild blitzt sein Aug', aufs Ziel gewandt,
Als wollt' er's sengen mit dem Brand;
Doch bändigt er des Herzens Wellen,
Die hoch in Siegeshoffnung schwellen;
Er kühlt sich den entflammten Sinn, 115
Klar, fest und stille schaut er hin.
Er drückt, der Bügel mächtig klingt,
Lant schwirrend sich die Sehne schwingt,
Es saust der Bolz. Er hat getroffen!
Da stand mit weiter Spalte offen 120
Des Försters Bolz, ihn schnitt ins Mark
Des Jünglings Schuß, gerecht und stark.
Der Herold tritt zum Scheibenhaus,
Er zieht die Bolze beid' heraus
Und legt sie in des Grafen Hand, 125
Der staunend ob dem Wunder stand.
Des Försters Bolz war ganz zerschmettert,
Gleich einer Rose aufgeblättert;
Es saß darin der zweite Bolz,
Fest eingekeilt ins harte Holz, 130
Und war hinfort kein Zweifel dran,
Wer hier den Meisterschuß gethan.
442. Die deutsche Kaiserwahl.
CLudwig Uhland. — Aus dem Drama: Ernst,
Herzog von Schwaben.)
Der fromme Kaiser Heinrich war ge—
storben,
Des sächsischen Geschlechtes letzter Zweig,
Das glorreich ein Jahrhundert lang ge—
herrscht.
Als nun die Botschaft in das Reich erging,
Da fuhr ein reger Geist in alles Voll, 5
Ein neu Weltalter schien heraufzuziehn;
Da lebte jeder längst entschlafne Wunsch
Und jede längst erloschne Hoffnung auf.
Kein Wunder jetzo, wenn ein deutscher
Mann,
Dem sonst so Hohes nie zu Hirne stieg, 10
Sich, heimlich forschend, mit den Blicken
maß.
Kann's doch nach deutschem Rechte wohl
geschehn,
Daß, wer dem Kaiser heut' den Bügel hält,
Sich morgen selber in den Sattel schwingt.
Jetzt dachten unsre freien Männer nicht [15
An Hub⸗ und Haingericht und Markgeding,
Wo man um Esch' und Holzteil Sprache
hält;
Nein, stattlich ausgerüstet zogen sie
Aus allen Gauen, einzeln und geschart,
Ins Maienfeld hinab zur Kaiserwahl. 20
Am schönen Rheinstrom, zwischen Worms
und Mainz,
Wo unabsehbar sich die ebne Flur