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doch einen Olbaum, der in acht Stämme auseinander ging. Um das
ganze mächtige Gewächs zu umkreisen, genügten bei genauster Messung
kaum zwanzig Schritt. — Und bedarf es nun noch des ausdrücklichen
Hinweises darauf, daß an eben diesen Baum in den Ländern um das
Mittelmeer her sich einst der Anfang aller Kultur knüpfte? daß in
der schönsten Weise der Olbaum die unverletzliche Grenze des Besitzes
und des Rechtes vor Augen stellte? und daß das Sprichwort eine
Überschreitung des Maßes in Wort und Tat sinnvoll als psoeo
durò ν αν (extra oleas vagari) bezeichnete?
86. Die Kimbrer.
Theodor Mommsen.
Gegen Ende des zweiten Jahrhunderts vor Christi Geburt hatten
die Römer endlich nach einem, wie es scheint, zweiunddreißigjährigen
Kriege den Skordiskern, der im heutigen Bosnien und Serbien
damals führenden Nation, durch mehrere siegreiche Schlachten ein Ende
bereitet.
Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht
ahnten. Schon seit längerer Zeit irrte ein „unstetes Volk“ an dem
nördlichen Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten
eingenommenen Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heißt
die Chempho. die Kämpen oder, wie ihre Feinde übersetzten, die
Räuber, welche Benennung indes allem Anschein nach schon vor ihrem
Auszug zum Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden
und sließen unter den Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier,
wahrscheinlich in Böhmen. Genaueres über die Ursache und die
Richtung ihrer Heerfahrt haben die Zeitgenossen aufzuzeichnen versäumt
und kann auch durch keine Mutmaßung ergänzt werden, da die der—
zeitigen Zustände nördlich von Böhmen und dem Main und östlich
bom unteren Rheine unseren Blicken sich vollständig entziehen. Da—
gegen dafür, daß die Kimbrer und nicht minder der ihnen später sich
anschließende gleichartige Schwarm der Teutonen ihrem Kerne nach
nicht der keltischen Nation angehören, der die Römer sie anfänglich
zurechneten, sondern der deutschen, sprechen die bestimmtesten Tatsachen: