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Röhre, die bei ihrem Eindringen vor ihnen seitwärts auswichen, ver¬
schließen ihnen jetzt, in umgekehrter Richtung, den Weg. So werden die
Fliegen in dem Kessel etwa in derselben Weise gefangen gehalten, wie die
Fische in einer Reuse. Nun laufen die Tierchen ungeduldig in ihrem
engen, dunklen Gefängnisse umher und streifen dabei auch die große Narbe,
an der sie nun den Blütenstaub absetzen, welchen sie bereits früher von
einer andern Osterluzei mit angenommen haben. Bald aber beginnt die
Röhre sich zu verändern; die in ihr befindlichen Haare fangen an zu
welken und schrumpfen ein. Die kleinen Gefangenen spazieren ungehindert
von dannen und begeben sich nun vielleicht zu einer andern Pflanze der¬
selben Art, welcher sie den Blütenstaub zutragen, den sie von den Staub¬
gefäßen der eben verlassenen Blüte angenommen haben. Hier werden sie
abermals gefangen, setzen die mitgebrachten Pollenkörnchen ab, bürsten die
Staubbeutel aus und werden schließlich wieder aus ihrem Gefängnis
entlassen. So kann sich mit ihnen derselbe Vorgang mehrfach wiederholen.
Schlimmer als die Osterluzei meinen es verschiedene andere Pflanzen
mit den Insekten. Die Venus-Fliegenfalle Nordamerikas schlägt,' wenn
ein Insekt die Blattoberseite berührt, rasch die beiden klappenartigen Hälften
der Blattseiten nach oben zusammen, wobei die langen Stachelzähne des
Randes wie die Finger gefalteter Hände ineinander greifen. Sie schließt
auf diese Weise die Fliegen oder andere Insekten so lange ein, bis der
durch deren Bewegung hervorgebrachte Reiz aufhört und die Insekten tot
sind. In ähnlicher Weise hält eine ganz nahe verwandte Pflanze, unser kleiner
rundblätteriger Sonnentau, die Insekten durch eine klebrige Ausschwitzung
und ihre Drüsenhaare fest. Manche andere Gewächse, vorzüglich der Tropen¬
gegenden, zeigen dieselben Erscheinungen. Werden durch die ausscheidende
wässerige oder klebrige Flüssigkeit die Weichteile des Insektes aufgelöst und
diese Stoffe von der Pflanze aufgenommen, so spricht man wohl von
insektenfressenden Pflanzen.
Die Emsigkeit der Biene beim Einsammeln von Honig aus den
Blüten ist zum Sprichwort geworden, und der Schmetterling, welcher von
Blume zu Blume flattert, ist häufig von Dichtern besungen worden. Daß
diese Tiere und ihre Verwandten bei diesen Blumenbesuchen aber für die
Pflanzen auch sehr wichtige Geschäfte besorgen, das pflegt unbeachtet zu
bleiben. Das Zusammenleben von Blumen und Insekten in ihrer gegen¬
seitigen Abhängigkeit ist eine der merkwürdigsten und wichtigsten Erschei¬
nungen der organischen Welt. Nach W. I. Behrens.
57. Der Schmetterling.
Zum ersten Grün, zum weittönenden Liede der Lerche und zu den
ersten Blumen, welche ihre Kronen öffnen, gesellt sich in den ersten wärmeren