374 Rechtszustände im Mittelalter. 
Wenn einzelne Kaiser, z. B. Friedrich II., es als ihre Aufgabe be¬ 
trachteten, das geltende Recht in allgemein verbindlichen Gesetzen zusammen¬ 
zufassen oder neue Grundsätze für das ganze Deutschland aufzustellen, so 
waren sie doch durch innere Staatsverhaltniffe und Streitigkeiten mit aus¬ 
wärtigen Mächten zu sehr in Anspruch genommen, als daß sie sich jenen 
Zwecken in größerem Maßstabe hätten widmen können. Es unternahmen 
daher Privatmänner, ohne Rücksicht ans die Verhältnisse eines bestimm¬ 
ten Orts oder Gerichts, diejenigen Grundsätze in größeren Arbeiten zu¬ 
sammenzustellen, welche ihrer Erfahrung gemäß in der Praxis beobachtet 
wurden und nach ihrem Bewußtsein als Recht anzuwenden waren. So 
entstanden die sogenannten „Rechtsbücher", und das wichtigste unter ihnen 
ist dasjenige, welches schon von feinem Verfaffer den Namen „Sachsen¬ 
spiegel" erhielt. 
Am Anfange des 13. Jahrhunderts, wahrscheinlich zwischen 1224 und 
1235, von einem Ritter verfaßt, welcher in den Landgerichten Schöffe war, 
stellt der Sachsenspiegel in schlichter, verständlicher und der Sache dnrchans 
angemessener Sprache das Recht dar, wie es in den sächsischen Gerichten 
angewendet wurde und die Kunde von ihm im Volke lebte. Obgleich er 
von einem Privatmanne verfaßt wurde, hat er wegen feines großen Wertes 
doch Eingang in die Gerichte gefunden und eine weitverbreitete gesetzliche 
Geltung erlangt. Er zerfällt in zwei Teile: das sächsische Landrecht und 
das sächsische Lehnrecht, und eine gereimte Vorrede giebt über den Verfaffer 
Ausschluß. Nach den betreffenden Versen hat Eike von Repgau das Buch 
ohne Muster und Vorgänger zuerst lateinisch geschrieben und dann ans 
Bitten des Grafen Hoyer von Falkenstein ins Deutsche übersetzt, dies aber 
uur ungern, weil er es für zu schwer hielt. Über den Namen des Buches 
sagt die Vorrede: 
Spiegel der Saxen 
Sal diz buch sin genant, 
wende Saxen recht ist hir an bekant, 
Als an einem spiegele de vrouwen 
ire antlize beschonwen. 
Eine ausführliche Inhaltsangabe des sächsischen Landrechtes würde hier zu 
weit führen; wir stellen nur einzelne Grundanfchannngen des Verfassers 
zusammen: 
Vor Gott, welcher deu Menschcit nach feinem Bilde fchuf, sind alle 
Menschen gleich, unb in der Zeit, als die Sachsen das Land eroberten, 
gab es keine Knechte, fonbern alle waren frei; überhaupt giebt es keinen 
Grund, warum einer ber Gewalt des andern soll unterworfen fein. Der 
Mensch, Gottes Bilb, soll nur Gott angehören, unb wer ihn einem anbcrn 
unterwerfen will, ber Haubelt tuiber Gott. In Wahrheit hat bie Knecht¬ 
schaft ihren Ursprung in Zwang, Gefangenschaft nnb unrechter Gewalt, unb 
was zuerst burch Unrecht feinen Anfang nahm, sucht man jetzt wegen ber 
langen Gewohnheit als Recht zu behaupten. Als Gott bcn Menschen fchuf,
	        
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