Object: Die Geschichte des deutschen Volkes

Hermann und Germanicus. (14 — 16 n. Chr.) 
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Allen Segest. Der trug noch immer unversöhnlichen Groll gegen ihn im 
Herzen, überfiel ihn und schlug ihn in Ketten; das treue Geleite aber be¬ 
freite den Helden und übte Wiedervergeltung an dem Verräther. 
Als die Römer von dieser Zwietracht vernahmen, wuchs ihnen aufs 
Neue der Muth und sie beschlossen, die Niederlage des Varus zu rächen und 
die verlorene Herrschaft wieder zu gewinnen. Große Macht ward gerüstet, 
und zuerst kam Tiberius, der bald darauf römischer Kaiser ward, — dann 
Germanicus, der Sohn des Drusus, anden Rhein. Der überfiel die Mar¬ 
sen und die Chatten und legte ihre Gaue wüst. Bald sandte ihm Segeft 
durch einen Vertrauten Botschaft: er, der stets ein Freund der Römer ge¬ 
wesen, werde von dem Volk in seiner Burg belagert, und bat den Germa¬ 
nicus, daß er mit Heeresmacht käme und ihn befreie. Nicht lange ließ ^der 
Römer auf sich warten und entsetzte den Verräther. Da wurden in Se- 
gests Burg viele edle Frauen gefunden, unter ihnen auch Hermanns Weib, 
Thusnelda, die ihr Vater den Römern als Gefangene übergab. Sie trug 
ein Kind des edlen Helden unter'm Herzen; schweigend und thränenlos stand 
sie in ihrer Würde da, die Hände unter dein Bilsen gefaltet, und dachte an 
Hermann. Als dieser von Segests Niederträchtigkeit vernahm, rief er in 
unsäglichem Schmerz von Gau zu Gau um zwiefache Rache, für die Frei¬ 
heit des Volkes zuerst, dann für die seines Weibes und seines ungebornen 
Kindes. Da erhoben sich die Eidgenossen aufs Neue voll Wuth gegen die 
Römer; Germanicus aber zog stolz und in Siegeshoffnung durch den Teu¬ 
toburger Wald heran. Darin fand er den Wahlplatz, wo die Legionen ge¬ 
fallen waren, und begrub die weißen Gebeine seiner erschlagenen Landsleute. 
Hermann erwartete ihn auf einer Haide und bot ihm zwischen Wald und 
Sumpf die Schlacht; die ward so klug und wild geschlagen, daß die Rö¬ 
mer wichen. Dann überfiel und bewältigte er rasch das Heer des Cäcina; 
nur der Ungestüm der Deutschen rettete diesen alten, erfahrenen Kriegsmann 
vor dem Schicksal des Varuö. Um so eifriger dürstete Germanicus nach 
dem Ruhm, ganz Deutschland römisch zu machen, und bot alle List der 
Kriegskunst auf. An den Meeresküsten fuhr er mit einer Flotte bis hin 
zur Mündung der Ems; von dorther drang er jetzt ins Land. Da wichen 
die Cherusker, in der Gegend, wo heutzutage Minden steht, hinter die 
Weser zurück und erwarteten ihn zur Schlacht. Bevor sie begann, sah Her¬ 
mann seinen Bruder Flavius am andern Ufer des Stromes stehen und rief 
ihm zu: „O komm herüber zu Deinem freien Volk, mein Bruder; was käm¬ 
pfest Du in den Reihen der Römer gegen uns? Kennst Du die alten Ei¬ 
chen nicht mehr? Hörst nicht, wir sie Dir Grüße zurauschen aus unsrer 
Knabenzeit? Wirf hin, o wirf hin die eitlen Ehren, mit denen die Römer 
die Schmach Deiner Abtrünnigkeit und Knechtschaft vergüldcn! O wie viel 
schöner ist's, von freien Brüdern geliebt zu sein! Wie viel süßer, auf heimi¬ 
scher Erde als freier Mann zu sterben, denn auf fremder als reicher Sklav 
zu leben!" Aber Flavius hatte kein Herz für solche Worte mehr. Da ge¬ 
bot Hermann voll Grimm die Schlacht. Am andern Tage ward sie geschla¬ 
gen, in dem Gau Jdistawiso, vom Morgen bis in die tiefe Nacht. Klug 
hatte Hermann den Plan erdacht und bestellt, doch die Wuth des Kampfes 
verdarb das Wohlersonnene. Die Cherusker rannten von den waldigen 
Hügeln, wo Hermann sie aufgestellt, zu früh ins Thal hinab. Dadurch 
entsteht Verwirrung. Die Römer benützen sie, drängen von allen Seiten 
und werden Meister des Schlachtfeldes. Da stürmt Hermann hoch zu Roß 
wider die Bogenschützen und bahnt sich endlich eine "Gasse. Plötzlich stößt
	        
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