1. Morgenlied.
1. Wer schlägt so rasch an die Fenster mir
Mit schwanken, grünen Zweigen?
Der junge Morgenwind ist hier
Und will sich lustig zeigen.
2. „Heraus, heraus, du Menschensohn!"
So ruft der kecke Geselle,
„Es schwärmt von Frühlingswonnen schon
Vor deiner Kammerschwelle.
3. Hörst du die Käfer summen nicht?
Hörst du das Glas nicht klirren,
Wenn sie, betäubt von Duft und Licht,
Hart an die Scheiben schwirren?
4. Die Sonnenstrahlen stehlen sich
Behende durch Blätter und Ranken
Und necken auf deinem Lager dich
Mit blendendem Schweben und Schwanken.
5. Die Nachtigall ist heiser fast,
So lang' hat sie gesungen,
Und weil du sie gehört nicht hast,
Ist sie vom Baum gesprungen.
6. Da schlug ich mit dem leeren Zweig
An deine Fensterscheiben:
Heraus, heraus in des Frühlings Reich!
Er wird nicht lange mehr bleiben."
Wilhelm Müller
2. Abendstille.
1. Nun hat am klaren Frühlingstage
Das Leben reich sich ausgeblüht;
Gleich einer ausgeklungnen Sage
Im West das Abendrot verglüht.
Des Vogels Haupt ruht unterm Flügel,
Kein Rauschen tönt, kein Klang und Wort;
Der Landmann führt das Roß am Zügel,
Und alles ruht an seinem Ort.
Wirth, Lesebuch. V.
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