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antwortete: „Es ist mir so eigen im Herzen; die Herrlichkeit des
kommenden Frühlings erfreut mich wohl; aber es ist eine stille Freude
voll Wehmut und heiliger Ehrfurcht. Siehe, es deucht mir, als ob
ich in einem Tempel wäre." — „Bist du denn nicht auch in einem
Tempel?" sagte der Jüngling, und sein großes blaues Auge strahlte
mit eigenem höherem Glanze. „Aber," fragte er darauf, „was erfüllt
denn dein Herz vor anderm mit solchen Gefühlen?"
Der Knabe antwortete und sprach: „Das leise Wandeln der Natur
und die Stille, mit welcher alle diese Herrlichkeit wie von selber sich
bildete. Als der Schnee noch in den Schluchten lag und die Scholle
noch hart war von dem nächtlichen Froste, da verkündete schon der Früh¬
ling sein Kommen. Er sandte seine Prophetin, die Lerche. Sie schwebte
aus der Furche zum Himmel empor, als ob sie den schlummernden Keim
singend aufriefe zum freudigen Erwachen und den achtlosen Menschen,
zu merken auf den Odem, der wunderbar die Gestalt der Erde erneuert.
Denn schwebet sie nicht singend zwischen dem Himmel und der Erde?
Man sieht es der braunen Brust der Frühlingsbotin nicht an, daß sie
eine Prophetenstimme in sich trägt, und manche verkennen es."
„Das ist das Los des Göttlichen in seiner einfachen Gestalt,"
sagte der Jüngling. — „Aber fahre fort, mein Lieber, mir die Ge¬
schichte des Lenzes zu erzählen I"
Der Knabe sprach: „Nun erwachten, dem Rufe gehorchend, tausend
Leben in dem Schoße der vom Frost entbundenen mütterlichen Erde.
Die Winterglöckchen standen da wie blühender Schnee und gemeinsam,
als ob sie verbündet den wiederkehrenden Sturm und Frost nicht fürch¬
teten. An der Sonnenseite des Hügels, von Dorngesträuch beschirmt
und nur dem spähenden Auge erscheinend, blühete das einsame duftende
Veilchen, ein erfreuliches Zeichen, daß die frühe Prophetin die Wahrheit
verkündet habe. Und wie durchströmte nun der Odem des Lenzes die
ganze Natur und verjüngte das Antlitz der Erde! Dem Kleinsten und
Zartesten ward seine Pflege so gut wie dem Großen. Auch die verhüllte
Knospe und das eingewickelte Blatt hat seine Morgenröte. Ist es nicht
eine und die nämliche Kraft, die in den Pflanzen sich zur Blume ge¬
staltet und in der Brust der Amsel und Lerche zum Gesänge sich bildet?
— So gesellte sich Blüte zu Blüte und Gesang zum Gesänge, und bald,"
sagte der Knabe mit strahlenden Augen, „ich zweifle nicht, bald wird
die Nachtigall den Chorgesang vollenden, der die fortschreitende Ent¬
faltung der Kräfte begleitet."
„Wohl dir, mein Lieber," sagte der Jüngling, „daß du die Hand
der Natur auch in ihrem leisen Wirken erkennst!" — „Ach," erwiderte
trauernd der Knabe, „seitdem der Krieg durch unsere Gefilde tobte,
wandte ich mein Auge auf die wohltätige, stille Natur. Sie schien mir
eine Trösterin. Denn siehe, der Krieg hat unsere Lämmer geraubt." —