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Da sagte der Jüngling: „Traure nicht um deine Lämmer! Auch vor
dem Frühlinge wandelt der Sturm. Er nahm dir das Geringe, um dir
das Höhere zu geben. Die Hülle muß zerreißen, ehe der Schmetterling
emporschwebt. — Wohl dir," setzte der Jüngling nach einer Weile hinzu,
„daß du den Vater der Natur erkanntest, der den Frühling sendet."
„Aber ach, sage mir," fragte der Knabe, „warum sendet er ihn so
leise und verhohlen? Und warum entstehet alle diese Herrlichkeit, als
ob sie von selber sich bildete? Deshalb gehen die Menschen vorüber und
nehmen es nicht zu Herzen. Ja sie zertreten Halme und Blumen und
benetzen sie mit dem Blute ihrer Brüder. — Wenn sie den Odem ver¬
nähmen, der die Erde verjüngt, und sähen die Kraft, die alles gestaltet
— o verzeihe mir, du freundlicher Jüngling, ich meine, dann 'könnte
kein Krieg mehr sein, und Liebe und Dankbarkeit würden Hand in Hand
zwischen den blühenden Feldern wandeln wie Kindlein vor den Augen
des sichtbaren Vaters."
Der Jüngling antwortete lächelnd: „Das meinst du wohl in deinem
zarten Herzen. Aber sieh, die Liebe und Dankbarkeit sind auch göttlichen
Wesens. Darum keimen und entfalten sie sich in dem stillen Herzen,
wie der Lenz in der Natur sich entfaltet."
„O, so will ich an die Natur und ihren unsichtbaren Vater mich
halten und nicht an das Wesen der Menschenwelt!" rief der Knabe und
blickte gen Himmel. — „Dann wirst du," sagte der Jüngling mit Ernst
und Würde, „in dem Vater der Natur auch bald den Vater der Menschen
erkennen! Ich scheide," fuhr er fort, „Friede sei mit dir! Siehe, auch
in deinem Herzen tönet die leise Prophetenstimme eines himmlischen
Lenzes. Du suchtest in der Natur das Göttliche. Es begegnete dir,
und es wird dir in höherem Glanze und reiner Harmonie begegnen.
Siehe, ich bin der Engel des Frühlings."
Als der Jüngling dies gesprochen, zerfloß er vor den Augen des
Knaben in einem milden Lichtglanz. Der staunende Knabe sah ihn nicht
mehr; aber in dem Wäldchen schwebte ein leises Säuseln, die Zweige
zitterten, die Knospen blühten auf, auch die Stimme der Nachtigall
ertönte zum ersten Male, und der Knabe selbst stand verwandelt da —
ein kräftiger Jüngling. Friedrich Adolf Krummacher.
4. Der Len;.
1. Da kommt der Lenz, der schöne Junge,
Den alles lieben muß,
Herein mit einem Freudensprunge
Und lächelt seinen Gruß;