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des Landes sei sie verdorrt; dann aber werde sie wieder ausgrünen, wenn
eine Elster in ihrem Gezweige fünf weiße Jungen ausbrüte, und dann
werde das Land auch wieder seine Freiheit erlangen.
Der Baum oder doch sein Blatt findet sich darum auch auf vielen
Wappen und Siegeln, wie auch der Name Linde aus vielen deutschen
Ortsnamen herausklingt: Lindau, Lindenau, Lindental sind ja wohl¬
bekannte Klänge. Der slawische Name Lipa für Linde liegt andern
Orten zugrunde. Leipzig ist die schöne „Lindenstadt", und die Dorf¬
namen Lips, Lepte und ähnliche, welche vielfach vorkommen, haben diese
Bedeutung. Alles Hohe und Herrliche wurde ihr darum auch nachgesagt,
und eine uralte Meinung unserer Ahnen war, daß sie selbst Gold in
ihrem Innern trage, welches sie allein dem Erdboden zu entnehmen
vermöge.
Und auch als den Baum der Liebe hat ihn die deutsche Vorzeit
verstanden. War er doch auch nicht einem Gotte insbesondere geweiht
durch den religiösen Glauben der heidnischen Vorzeit, sondern einer
starken, milden Göttin, der Hertha oder Holla. So besingt ihn Walter
von der Vogelweide. Dort tanzt man, wenn der Frühling wiederkehrt,
der am schönsten ist, wenn die Linden blühen und duften; dort suchen
sich die Liebenden und küssen und kosen. Und als den Liebesbaum und
Frühlingsbaum zugleich hat auch Uhland vor allen, der aus der köstlichen
Fülle des Mittelalters zu schöpfen wußte, in neueren Tagen die Linde,
den starken und doch so linden deutschen Baum, wieder besungen und nach
ihm mancher andere von deutscher Herrlichkeit ergriffene deutsche Sänger.
Die Linde, sie ist der Baum, dessen süße Innigkeit, dessen gemüt¬
ansprechende Fülle dem deutschen Gemütscharakter entsprach. Nicht die
rohe Kraft und die ungestüme Gewalt ist ja das innerste Wesen unserer
Vorfahren gewesen: das war vorwiegend der Charakter der skandinavischen
Stämme, vor allem der Normannen, der Schotten. Vielmehr Weichheit
des Gemütes, wie sie aus den alten Dichtungen herausklingt, die sinnige
Beschaulichkeit, die Innigkeit der Leidenschaft, wovon die alte Kunst, die
Hingabe an die religiösen Faktoren des Lebens, das Kämpfen für das
Ideale uns laute Kunde gibt. Selbst auf dem Grabe Klopstocks in
Ottensen, des tonangebenden Eichensängers, hat die Verehrung ihm doch
nicht eine Eiche, sondern eine Linde zu pflanzen gewußt.
Zu Ottensen, von Linden
Beschattet, auf dem Plan,
Ist noch ein Grab zu finden;
Dem soll, wer trauert, nahn.
Dort in der Linden Schauer
Soll lesen er am Stein
Die Inschrift, daß die Trauer
Ihm mag gelinder sein.
(Rückert.)