Full text: Oberstufe: Erster Kursus (Teil 5, [Schülerband])

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überflüssig in der Welt; denn gleichwie dieses Leben selbst nicht der 
höchste Endzweck des Menschen ist, so sind auch die Lebensbedürfnisse 
nicht das Höchste, sondern es gibt ein höheres Ziel, und dahin zielen 
auch diese Künste, welche die geistige Bestimmung und Bildung des 
Menschen befördern. Dies beweist schon ihr Ursprung, der sich aus der 
Zeit des grauen Altertums herschreibt. Nicht etwa von der Not 
wurden die Menschen zur Erfindung der schönen Künste getrieben, auch 
nicht bloß von der Langenweile und der Vergnügungssucht, wie es uns 
heutzutage wohl leicht bedünken könnte. Die Geschichte lehrt viel¬ 
mehr, daß alle diese Künste, die jetzt freilich nur noch ein Mittel der 
Unterhaltung und des feineren Lebensgenusses für die meisten sind, 
ursprünglich (man sollte es kaum glauben) ans der Religion und dem 
Götterdienste hervorgegangen sind, und daß selbst die christliche Kirche, 
namentlich die katholische, im Mittelalter vieles zu ihrer Ausbildung 
beigetragen hat. Im Heidentum aber, namentlich bei den alten Griechen, 
waren die schönen Künste recht eigentlich die Hauptsache des Gottesdienstes; 
sie dienten nicht bloß, wie bei uns etwa eine Kirchenmusik oder das 
Orgelspicl, dazu, die Gemeinde in eine feierliche Stimmung zu versetzen, 
sondern die gottesdienstlichen Gebräuche bestanden selbst größtenteils 
aus kunstvoll angeordneten Schauzeprängen, Schauspielen, Tänzen, 
Musik usw., weshalb denn auch wiederum diese Künste selbst, z. B. 
das Spiel und die Einrichtung ihrer musikalischen Instrumente an feste, 
gottesdienstliche Vorschriften gebunden waren und gar nicht so willkürlich 
verändert werden durften wie bei uns. 
Alles dies hatte seinen Grund darin, daß sich jene alten Heiden 
die Gottheit ganz anders dachten als wir. Ihre Götter bedeuteten 
eigentlich nur die Kräfte und Mächte der uns umgebenden sichtbaren 
Natur, durch welche dieses unser leibliches Leben sowohl erhalten als 
auch bedroht wird. In der Stimmung eines ungewöhnlich erhöhten 
Lebensgefühls glaubten sie daher auch den Gott unmittelbar selbst in 
ihrer Brust zu fühlen, im Donner ihn zu höreu, im Wehen der Lüfte 
zu empfinden, in der rieselnden Quelle zu vernehmen. Dieses Lebens¬ 
gefühl auszusprechen und auf allerlei Weise darzustellen, war ihnen Be¬ 
dürfnis, und darin liegt eigentlich der Ursprung der schönen Künste, in 
welchen sich der Frohsinn des Lebens und das religiöse Bedürfnis auf 
eine Weise verschmolzen, wie wir uns jetzt freilich kaum mehr deutlich 
denken können, nachdem diese Künste zugleich mit ihren Göttern und 
Religionen von ihrer anfänglichen Wörde entsetzt worden sind. Sie sind 
nicht verschwunden; aber sie haben sich verweltlicht, unter das Volk, in 
das tägliche Leben genlischt; denn dem Leben gehörten sie ja ursprüng¬ 
lich an. Sie verschönern das Leben und erwecken auch das Gefühl 
seiner höheren Bedeutung, seines göttlichen Ursprungs; weiter aber be¬ 
gleiten sie unsere Andacht nicht, die sich alsbald über dieses ganze Gebiet
	        
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