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Er mich nicht verstanden? Habe ich, Sebastian Bach, Ihm nicht soeben
mein Wort gegeben? Hält er mich für einen jener wortbrüchigen
Schurken, wie sie in der Hofluft gedeihen mögen und die ein elender
Fetzen Papier stärker bindet als ein vor Gottes Angesicht ausgesprochenes
Manneswort?"
„Lieber Vater!" bat Philipp Emanuel besänftigend.
„Schweig, Junge, davon verstehst du nichts!" fuhr der Vater heftig
auf, und zum Kurier gewendet, sagte er ruhiger: „Jetzt habt Ihr
Euern Bescheid! Erzählt nur das alles dem Herrn Grafen wieder; mich
soll's nicht kümmern!"
Der Bote war schreckensbleich einige Schritte zurückgetreten. Bach
ergriff ihn beim Kragen, zog ihn zu sich und sagte freundlich: „Na, das
wird Euch eine heilsame Lehre sein, nicht wahr? Merkt sie Euch, aber
nicht bloß solange Ihr in meinem Hause seid! Die Residenz ist nicht
überall. Und nun basta. Wollt Ihr unsere Abendsuppe mit verzehren
helfen und einen Krug Bier dazu kosten, so soll mir das lieb und recht
sein." — Der Kurier jedoch nahm befangen und eiligst Abschied, und
der Kantor setzte sich heiter an seinen Platz.
Da drängten die Seinigen sich hastig und geängstigt um ihn her,
und Frau Gertrud rief: „Ach, mein Bastian, du willst fort in die weite
Welt — fort nach Dresden, in die große Pracht und Herrlichkeit der
Sündenstadt? — O, und die lange, lange, bitterböse Reise! — Nein,
Mann, das tust du deinem Weibe und deinen Kindern nicht an!" Und
dabei brach sie in heiße Tränen aus und fiel ihrem Manne schluchzend
um den Hals. Die Kinder, die ihre Mutter weinen sahen, fingen auch
an zu jammern und hingen sich an den Rock des Vaters; die beiden
Söhne besprachen laut und eifrig das gräfliche Schreiben: kurz, es war
ein Höllenlärm in der kleinen Stube.
Endlich besiegte die volle, markige Stimme des Familienhauptes
das Toben; der Kantor rief: „Frau, bringe die tollen Buben ins
Kinderzimmer! Nur Friedemann und Emanuel sollen hier bleiben." Da¬
mit schüttelte er wie ein Löwe mit gewaltigem Ruck das schreiende
Kindervolk von sich ab, und die Mutter brachte die kleine Herde zur
alten Wärterin.
Der Kantor maß mit großen Schritten das Zimmer, als die Ge¬
treue mit feuchten Augen wieder an dem Tische Platz nahm. — „Mußt
dich nicht so um die große Reise grämen, Gertrude," sagte er mild zu
ihr, „siehe, in vierzehn Tagen bin ich, so es Gott der Herr nicht
anders beschließt, wieder in meinem alten Neste, und im übrigen habe
ich mir vorgenommen, diese beiden" — er zeigte auf Friedemann und
Emanuel — „mit in die Residenz zu nehmen. Sie sollen sich auch den
bunten Tand dort einmal anschauen und vor allen Dingen brav für
ihren Vater sorgen." — Die Söhne dankten mit strahlenden Augen. —