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I. Erzählungen.
hinwürge. Seit der Zeit heiße das Zim¬
mer „Todtenzimmer" und werde von
Jedermann gemieden.
Durch diese Auskunft hätte sich wohl
mancher sonst heldenmüthige Erdensohn
zurückschrecken lassen, denn mit Geistern
mag nicht gerne einer zu schaffen haben;
allein unser Dominikaner gehörte unter die
Leute, die, ein gutes Gewissen im Herzen,
selbst vor dem Tode keine Furcht bewei¬
sen. Erbestand darauf, dieses Gemach zur
Schlafstätte zu wählen, und der Wirth
gab endlich nach. Der Gast besah sich
vorerst das so unheimlich geschilderte
Gemach näher und fand ein ganz ge¬
wöhnliches Stübchen; ein Tisch, ein Stuhl
und ein Bett waren die einzigen Ge-
räthe; von Fallthüren oder geheimen
Zugängen ilirgends eine Spur; und so¬
hin legte sich der Mönch ruhig zu Bette.
Doch da fiel ihm ein, daß er für heute
sein Brevier noch nicht ganz gebetet habe,
und er schlug deßhalb ganz gegen seine
Gewohnheit im Bette sein Buch auf und
wollte noch vor dem Einschlafen seine
Gebete vollenden. Allein die Natur war
stärker als sein Wille; bald schlief er
ein, das Brevier aufgeschlagen vor sich
auf der Bettdecke liegen lastend.
Kaum graute der Tag, als der Wirth
11. Sck
Auf dem Zuge der französischen Armee
nach Rußland im Jahre 1812 kam eine
Compagnie des 42. Infanterie-Regiments
in ein unansehnliches polnisches Dorf zum
Quartier. Der Wirth, ein Jude, erhielt
einen Sergeanten mit zwölf gemeinen
Soldaten. Obwohl durch vorausgegan¬
gene Einquartierungen schon hart mit¬
genommen, bot doch der arme Mann
Alles auf, um seine ungebetenen Gäste
zufrieden zu stellen. Es fehlte ihm aber
an Weißbrod. Die Gemeinen ließen sich
wohl das bei den Franzosen nicht be¬
liebte Schwarzbrod gefallen, aber der
Führer, ein junger unerfahrener Mensch,
wollte sich damit durchaus nicht begnü¬
gen. „Weißbrod schaff' her, Jude, oder
ich sende dich in Abrahams Schooß!" —
so schrie er mit donnernder Stimme und
warf das ihm vorgelegte Stück Schwarz-
die Stiege herauf kam und sich zagend
dem verhängnißvollen Zimmer nahte, um
nachzusehen, ob auch der diesmalige Gast
die Zahl der Todtenopfer vermehrt habe.
Aber wie groß war sein Erstaunen und
seine Freude! Der Mönch lag frisch und
gesund und noch in tiefem Schlafe; sein
großes Buch noch vor ihm, aber ge¬
schlossen. Ein lauter Ausruf des Wirthes
weckte den Schläfer, und wie der Soldat
beim Erwachen seine Waffe sucht, so
griff der fromme Mönch sogleich nach
seinem Brevier, dem Wirthe mit heiterer
Laune erzählend, daß er einen läßigen
Beter beherbergt habe, einen schwachen
Krieger Gottes, der seinem Feinde, dem
Schlafe, schon beim ersten Angriffe er¬
legen sei und vor ihm seine Waffe nie¬
dergelegt habe. Als aber der Mönch
sein Brevier aufschlug, da überfiel die¬
sen, wie den Wirth, ein plötzliches Grau¬
sen; denn in dem Buche lag zerquetscht,
gerade zwischen dem 30. und 90. Psalm,
eine jener furchtbaren giftigen Vipern
Italiens, die mit einem einzigen Bisse
tödten. Es lautet aber die hier so be¬
deutungsvolle Stelle des Psalms: „Weg¬
schreiten wirst du über Schlangen und
Basilisken; zertreten Löwen und Dra¬
chen."
brod fluchend in eine Ecke des Zimmers.
Zitternd schlich der erschrockene Wirth
zur Thüre hinaus, um für den Franz-
mann Weißbrod ausfindig zu machen,
und endlich gelang es ihm, mit vielen
Bitten solches zu erlangen. Er brachte
es dem Sergeanten, und nun legte sich
der Zorn des rauhen Kriegers. Der
Wirth holte dann schweigend das weg¬
geworfene Brod aus dem Winkel hervor,
in welchen es geflogen war, und ver¬
schloß es bedachtsam in einem Wand¬
schrank, dessen Schlüssel er abzog und in
seine weite Rocktasche steckte. Unter schal¬
lendem Gelächter schaute der Sergeant
dem zu. Des andern Tages, als er mit
seiner Rotte abzog, sprach er zum Wirthe:
„Wenn wir wiederkehren, wird das Brod,
welches du gestern verstecktest, wohl ziem¬
lich hart sein!" — Der Jude lächelte und