Schnee hinausgeht, vom Kirschbaum einen Zweig bricht, ihn in ein
Wasserglas steckt und in der Stube über den Ofen stellt. Ihre Freundin,
die Augustina, hat ihr das so geraten. Vielleicht wird etwas! Nach
drei Wochen ist das liebe Christfest, und siehe, der Kirschbaumzweig
blüht. Er blüht in weißen Röslein wie einst im Mai, und es ist, als
ob von diesen Röslein ein sanftes Licht ausginge über die dunkle,
winterliche Stube. — Die Jungmagd ist still wonniglich. Nicht jedem
Mägdlein gelingt es, daß solcherweise der Kirschbaumzweig blüht. Der
es geschieht, von der sagen die Hausgenossen in Scherzen und Ernsten,
im nächsten Jahr werde ihr der Brautkranz geflochten. Der Jungknecht
scherzt nicht so, er schweigt. Aber schon nach Heiligdreikönig, wenn der
Fasching angeht, macht er die Weissagung wahr. In großen Bauern¬
höfen paaren sich nicht bloß Herr und Frau, sondern auch Knecht und
Magd, und sie bilden in der alten Familie eine junge — einen Zweig
am Stamm. Allen gemeinsam ist die Gesindestube und der große
Leutetisch und — der Kirschbaum.
Nach wenigen Jahren, während die Magd auf der Hauswiese den
Klee mäht für ihre Kühe und der Knecht zur Feierabendzeit auf dem
Kirschbaum umherklettert, hockt unten auf dem Rasen schon ein blond¬
lockiges Bübel. Manch rotes Träublein fällt nieder ins grüne kühl¬
duftende Gras. Der Kleine hascht danach und jubelt. Der Knecht sieht
hoch in den Zweigen große, glänzende Kirschen, auch die will er noch
haben für sein Knäblein. Er steigt den langen Ast hinaus — dieser
kracht, bricht, der Knecht stürzt herab und schlägt in wuchtigem Fall sein
Haupt in die Erde. — Da wird der Rasen rot, aber nicht von Kirschen.
Die Leute kommen und tragen ihn schweigend ins Haus.
Auch die Magd ist schweigend. Nur in den Nächten, wenn sie
ihren Arm um das süßschlafende Kind schlingt, da muß sie bitterlich
weinen. Aber sie will's verdrücken, daß man es nicht sollte hören in
der Nebenkammer. — Wohl freilich hart sind die Jahre, die nun kommen,
sie sagt es niemandem, wie hart. Mit einundzwanzig Jahren wird der
blonde Bursche Soldat. Er schreibt der Mutter drei- oder viermal des
Jahres, und sie antwortet ihm, daß sie frisch und gesund sei, bis
plötzlich ihre Antworten ausbleiben. Sie ist beinahe unversehens alt
geworden. Was die herbe Arbeit von ihr übriggelassen, das hat eine
kurze Krankheit verzehrt. Der alte Bauernhof auf der Höhe wird an
einen Baron verkauft, dieser will dort nicht hausen und bauen, das
durchaus nicht, sondern Rehe und Hirsche schießen. Der Wald rückt
zusammen um die Ruine, auf dem Herde wächst Holler, in der Stube
die junge Lärche. Und dort am Wiesenrain, zwischen Erlsträuchern und
auswuchernden Jungfichten, halb erstickt, steht der Kirschbaum. Er hat
nur sehr wenig Laub. Seine Aste bleiben kahl auch im Sommer, statt
des Blätterschmucks hängen graue Flechten nieder. Die wenigen grünen