fullscreen: [Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband]] (Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband])

Schnee hinausgeht, vom Kirschbaum einen Zweig bricht, ihn in ein 
Wasserglas steckt und in der Stube über den Ofen stellt. Ihre Freundin, 
die Augustina, hat ihr das so geraten. Vielleicht wird etwas! Nach 
drei Wochen ist das liebe Christfest, und siehe, der Kirschbaumzweig 
blüht. Er blüht in weißen Röslein wie einst im Mai, und es ist, als 
ob von diesen Röslein ein sanftes Licht ausginge über die dunkle, 
winterliche Stube. — Die Jungmagd ist still wonniglich. Nicht jedem 
Mägdlein gelingt es, daß solcherweise der Kirschbaumzweig blüht. Der 
es geschieht, von der sagen die Hausgenossen in Scherzen und Ernsten, 
im nächsten Jahr werde ihr der Brautkranz geflochten. Der Jungknecht 
scherzt nicht so, er schweigt. Aber schon nach Heiligdreikönig, wenn der 
Fasching angeht, macht er die Weissagung wahr. In großen Bauern¬ 
höfen paaren sich nicht bloß Herr und Frau, sondern auch Knecht und 
Magd, und sie bilden in der alten Familie eine junge — einen Zweig 
am Stamm. Allen gemeinsam ist die Gesindestube und der große 
Leutetisch und — der Kirschbaum. 
Nach wenigen Jahren, während die Magd auf der Hauswiese den 
Klee mäht für ihre Kühe und der Knecht zur Feierabendzeit auf dem 
Kirschbaum umherklettert, hockt unten auf dem Rasen schon ein blond¬ 
lockiges Bübel. Manch rotes Träublein fällt nieder ins grüne kühl¬ 
duftende Gras. Der Kleine hascht danach und jubelt. Der Knecht sieht 
hoch in den Zweigen große, glänzende Kirschen, auch die will er noch 
haben für sein Knäblein. Er steigt den langen Ast hinaus — dieser 
kracht, bricht, der Knecht stürzt herab und schlägt in wuchtigem Fall sein 
Haupt in die Erde. — Da wird der Rasen rot, aber nicht von Kirschen. 
Die Leute kommen und tragen ihn schweigend ins Haus. 
Auch die Magd ist schweigend. Nur in den Nächten, wenn sie 
ihren Arm um das süßschlafende Kind schlingt, da muß sie bitterlich 
weinen. Aber sie will's verdrücken, daß man es nicht sollte hören in 
der Nebenkammer. — Wohl freilich hart sind die Jahre, die nun kommen, 
sie sagt es niemandem, wie hart. Mit einundzwanzig Jahren wird der 
blonde Bursche Soldat. Er schreibt der Mutter drei- oder viermal des 
Jahres, und sie antwortet ihm, daß sie frisch und gesund sei, bis 
plötzlich ihre Antworten ausbleiben. Sie ist beinahe unversehens alt 
geworden. Was die herbe Arbeit von ihr übriggelassen, das hat eine 
kurze Krankheit verzehrt. Der alte Bauernhof auf der Höhe wird an 
einen Baron verkauft, dieser will dort nicht hausen und bauen, das 
durchaus nicht, sondern Rehe und Hirsche schießen. Der Wald rückt 
zusammen um die Ruine, auf dem Herde wächst Holler, in der Stube 
die junge Lärche. Und dort am Wiesenrain, zwischen Erlsträuchern und 
auswuchernden Jungfichten, halb erstickt, steht der Kirschbaum. Er hat 
nur sehr wenig Laub. Seine Aste bleiben kahl auch im Sommer, statt 
des Blätterschmucks hängen graue Flechten nieder. Die wenigen grünen
	        
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