140 VI. Das große Jahrhundert der deutschen Dichtung.
Mutter war dem Jünglinge sie; die mächtige Göttin
Hatte den Knaben einst liebend am Felsengestad'
Seiner Insel gesäugt, mit dem kräftigen Liede der Welle
10 Und im stärkenden Bad ihn zum Heroen gemacht.
Und die Mutter vernahm die Weheklage des Jünglings,
Stieg vom Grunde der See trauernd wie Wölkchen herauf,
Stillte mit zärtlichem Umfangen die Schmerzen des Lieblings,
Und er hörte, wie sie schmeichelnd zu helfen versprach.
iö Eöttersohn! o wär' ich, wie du, so könnt' ich vertraulich
Einem der Himmlischen klagen mein himmlisches Leid.
Sehen soll ich es nicht, soll tragen die Schmach, als gehört' ich
Nimmer zu ihr, die doch meiner mit Tränen gedenkt.
Gute Götter! doch hört ihr jegliches Flehen der Menschen,
20 Ach! und innig und fromm liebt' ich dich, heiliges Licht,
Seit ich lebe; dich Erd' und deine Quellen und Wälder,
Vater Äther, und dich fühlte zu sehnend und rein
Dieses Herz — o sänftiget mir, ihr Guten, mein Leiden,
Daß die Seele mir nicht früh, ach! zu frühe verstummt,
25 Daß ich lebe und euch, ihr hohen himmlischen Mächte,
Noch am fliehenden Tag danke mit frommem Gesang,
Danke für voriges Gut, für Freuden vergangener Jugend,
Und dann nehmet zu euch gütig den Einsamen auf.