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Rothkäppchen her, dann sprach er: „Rothkäppchen, sieh einmal
die schönen Blumen, die rings umher stehn, warum guckst
du dich nicht um? Ich glaube, du hörst gar nicht, wie die
Vöglein so lieblich singen? Du gehst ja für dich hin, als
wenn du zur Schule gingst, und ist so lustig haußen in
dem Wald.“
Rothkäppchen schlug die Augen auf und als es sah, wie
die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten,
und alles voll schöner Blumen stand, dachte es: „Wenn ich
der Großmutter einen frischen Strauß mitbringe, der wird
ihr auch Freude machen; es ist so früh am Tage, daß ich
doch zu rechter Zeit ankomme,“ lief vom Wege ab in den
Wald hinein und suchte Blumen. Und wenn es eiue gebrochen
hatte, meinte es, weiter hinaus stände noch eine schönere,
uͤnd lief danach und gerieth immer tiefer in den Wald hinein.
Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem Hause der Groß—
mutter und klopfle an die Thür. „Wer ist draußen?“ —
„Rothkäppchen, das bringt Kuchen und Wein, mach' auf!“
„Drück nur auf die Klinke!“ rief die Großmutter, „ich bin
zu schwach und kann nicht aufstehn.“ Der Wolf drückte auf
die Klin.?, Lie Thür sprang auf, und er ging, ohne ein Wort
zu sercchen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte
sie. Dann lhat er ihre Kleider an, setzte ihre Haube auf,
legte sid in ihr Vett und zog die Vorhänge vor.
othkäppchen aber war nach den Blumen herumgelaufen,
und aus »5 so viel zusammen hatte, daß es keine mehr tragen
konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein, und es machte
sich auf den Weg zu ih.. Es wunderte sich, daß die Thür
aufstand, und wie es in die Stube trat, so kam es ihm so
sellsam darin vor daß es dachte: „Ei du mein Gott, wie
ängstlich wird mire heute zu Muth, und bin sonst so gerne
bei der Großmutter!“ Es rief „Guten Morgen!“ bekam aber
keine Antwort. Darauf ging es zum Bett und zog die
Vorhänge zurück. Da lag die Großmutter und hatte die
Haube lief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus.
XEi, Großmutter, was hast du für große Ohren!“ „Daß ich
bich besser hören kann.“ „Ei, Großmutter, was hast du