Full text: Theil 1, [Schülerband] (Theil 1, [Schülerband])

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Nun ging der Bösewicht zum dritten mal zu der Hausthür, 
klopfte an und sprach: „Macht mir auf, Kinder, euer liebes 
Mütterchen ist heim gekommen und hat jedem von euch etwas 
aus dem Walde mitgebracht.“ Die Geißerchen riefen: „Zeig 
uns erst deine Pfote, damit wir wissen, daß du unser liebes 
Mütterchen bist.“ Da legte er die Pfote ins Fenster, und 
als sie sahen, daß sie weiß war, so glaubten sie, es wäre 
alles wahr, was er sagte, und machten die Thür auf. Wer 
aber hereinkam, das war der Wolf. Sie erschraken und 
wollten sich verstecken. Das eine sprang unter den Tisch, 
das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in 
die Küche, das fünfte in den Schrank, das sechste unter die 
Waschschüssel, das siebente in den Kasten der Wanduhr. Aber 
der Wolf fand sie alle und machte nicht langes Federlesen; 
eins nach dem andern schluckte er in seinen Rachen; nur das 
jüngste in dem Uhrkasten, das fand er nicht. Als der Wolf 
feine Lust gebüßt hatte, trollte er sich fort, legte sich draußen 
auf der grünen Wiese unter einen Baum und fing an zu 
schlafen. 
Nicht lange darnach kam die alte Geiß aus dem Walde 
wieder heim. Ach, was mußte sie da erblicken! Die Hausthür 
stand sperrweit auf; Tisch, Stühle und Bänke waren umgeworfen, 
die Waschschüssel lag in Scherben, Decke und Kissen waren 
aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder, aber nirgend 
waren sie zu finden. Sie rief sie nach einander bei Namen, 
aber niemand antwortete. Endlich als sie an das jüngste 
kam, da rief eine feine Stimme: „Liebe Mutter, ich stecke 
im Ührkasten.“ Sie holte es heraus, und es erzählte ihr, 
daß der Wolf gekommen wäre und die andern alle gefressen 
hätte. Da könnt ihr denken, wie sie über ihre armen Kinder 
geweint hat. 
Endlich ging sie in ihrem Jammer hinaus, und das 
jüngste Geißlein lief mit. Als sie auf die Wiese kam, so 
lag da der Wolf an dem Baum und schnarchte, daß die Aste 
zislerten. Sie betrachtete ihn von allen Seiten und sah, daß 
in seinem angefüllten Bauche sich etwas regte und zappelte. 
„Ach Gott,“ dachte sie, „sollten meine armen Kinder, die er 
zum Abendbrot hinunter gewürgt hat, noch am Leben sein?“
	        
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