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Da mußte das Geißlein nach Hause laufen und Schere,
Nadel und Zwirn holen. Dann schnitt sie dem Ungethüm
den Wanst auf, und kaum hatte sie einen Schnitt gethan,
so streckte schon ein Geißlein den Kopf heraus, und als sie
weiter schnitt, so sprangen nach einander alle sechse heraus
und waren noch alle am Leben und hatten nicht einmal
Schaden gelitten, denn das Ungethüm hatte sie in der Gier
ganz hinunter geschluckt. Das war eine Freude! Da herzten
sie ihre liebe Mutter und hüpften wie ein Schneider, der
Hochzeit hält. Die Alte aber sagte: „Jetzt geht und sucht
Wasersteine, damit wollen wir dem gottlosen Thier den Bauch
füllen, so lange es noch im Schlafe liegt.“ Da schleppten
die sieben Geißerchen in aller Eile die Steine herbei und
steckten sie ihm in den Bauch, so viel sie hineinbringen konnten.
Dann nähte ihn die Alte in aller Gischwindigkeit wieder zu,
daß er nichts merkte und sich nicht einmal regte. Als der
Wolf endlich ausgeschlafen hatte, machte er sich auf die Beine,
und weil ihm die Steine im Magen so großen Durst erregten,
so wollte er zu einem Brunnen gehn und trinken. Als er
aber anfing zu gehn und sich hin und her zu bewegen, so
stießen die Steine in seinem Bauch an einander und
rappelten. Da rief er:
„Was rumpelt und pumpelt
in meinem Bauch herum?
Ich meinte, es wären sechs Geißlein,
so sind's lauter Wackerstein'.“
Und als er an den Brunnen kam und sich über das
Wasser bückte und trinken wollte, da zogen ihn die schweren
Steine hinein, und er mußte jämmerlich ersaufen. Als die
sieben Geißlein das sahen, da kamen sie herbeigelaufen und
riefen laut: „Der Wolf ist todt! Der Wolf ist todt!“ und
tanzten mit ihrer Mutter vor Freude um den Brunnen
herum.