Full text: [Band 8 = Zweite und erste Klasse neuntes und zehntes Schuljahr, [Schülerband]] (Band 8 = Zweite und erste Klasse neuntes und zehntes Schuljahr, [Schülerband])

Erinnerungen unserer klassischen Literatur mit dem Musenhofe 
Weimars für alle Zeiten verknüpft sind. Die Bildung dieses Musen¬ 
hofes gehört dem 18. Jahrhundert an, und wir können den literarischen 
Reliquiensammlern nicht in die „Bibliothek“ folgen, zu welcher die 
Briefe und Zettel und Erinnerungen an die großen Männer allmäh¬ 
lich herangewachsen sind. Neben der Ausbeute an wahrhaft be¬ 
deutenden Gedanken und an echt charakteristischen Zügen findet 
sich so viel Kleinliches, Gleichgültiges, Triviales in diesen Zettelchen 
und Briefen, daß der Gewinn einer ganzen Brief Sammlung sich oft 
auf ein paar treffende Einfälle oder nicht uninteressante Anekdoten 
beschränkt. „Ach, meine Ideale von größeren Menschen,“ schrieb 
Jean Paul 1796 an seinen Freund Otto, als er die Runde bei Weimars 
Größen gemacht, und dieser Stoßseufzer Jean Pauls weht uns aus 
vielen Brief- und Gedenkblättersammlungen jener Zeit unwillkürlich 
entgegen. 
Dennoch bleibt die kulturgeschichtliche Bedeutung dieses Zu¬ 
sammenlebens so hervorragender Geister eine unleugbare, und auch 
wir müssen, ehe wir Schillers und Goethes Werke kritisch beleuchten, 
einen Blick auf. die Stätte werfen, wo ihre größten Schöpfungen ent¬ 
standen sind! Seit den schlesischen Dichterschulen hatte sich die 
deutsche Literatur ohne lokale und provinzielle Einheit fortgebildet. 
Die Schweizer Bodmer und Breitinger, der Göttinger Hainbund, 
Gottsched und Geliert, dann Weisse in Leipzig, Klopstock in Ham¬ 
burg, Lessing teils in Breslau und Berlin, teils in Hamburg und 
Wolfenbüttel, die jungen Stürmer und Dränger am Rhein, die Ost¬ 
preußen Kant und Herder, Gleim und seine Schule in Halberstadt: 
es war eine allseitige Entwickelung des deutschen Geistes, aber ohne 
Einheit und Mittelpunkt. In Berlin herrschte unter Friedrich II. 
der französische Geist. Der große König war zu alt geworden, um 
die Morgenröte der deutschen Dichtkunst zu begrüßen. Wohl sagte 
er ihren Aufschwung voraus: doch Lessing, Goethe und die andern, 
die ihn heraufführten, blieben ihm fast unbekannt. 
In Wien bezeichnete unter Josephs II. Regierung Blumauer 
einen Gipfel der österreichischen Poesie. Wohl versprach der 
Monarch, die Künste und Wissenschaften zu schützen; wohl nahm 
er die Widmung von Klopstocks „Hermannsschlacht“ an, doch er 
war kein poetisch geartetes Gemüt und geriet im Kampf für die 
Tendenzen der Aufklärung in zu schroffe und verbitterte Konflikte, 
um der friedlichen Musen gedenken zu können. 
So blieb der Schutz derselben den kleinern Höfen überlassen. 
In Mannheim erwies sich der Kurfürst Karl Theodor künstlerischen, 
besonders dramatischen Bestrebungen günstig; Graf Wilhelm von 
Schaumburg-Lippe war Abbts Freund und der Gönner Herders, den 
Wacker, Lesebuch. A. VIII. Teil. 21
	        
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