Triberger meine Mutter zum Tode verurteilt hatten, ging ein mäch¬
tiger Südwind über den Schwarzwald hin. Wärme und Kälte stießen
so heftig aufeinander, daß die Tannen wankten, schwankten und ächzten.
Die Mutter hatte mehr zu kämpfen als alle ihre Nachbarinnen.
Es war ihr Todeskampf. Wie sie's erfleht hatte, so kam es. Mitter¬
nacht war's, als heulend ein letzter, starker Windstoß daherfuhr, die
Mutter niederriß und in den Fallbach stürzte. Ich hörte nur noch,
wie sie rief: „Gottlob um diesen Tod-!" — und ich fühlte das eisige
Wasser über uns zusammenschlagen. Dann verlor ich die Besinnung.
157. 038 Leni. Von Ernst Zahn.
I-' s war wie das Stehenbleiben einer alten knarrenden Ticktackuhr,
daß die Lammwirtin tot war.
„Jesus, Jesus, jetzt ist sie tot!.“ sagte der Lammwirt, der Florian
Senil, stand inmitten seiner niederen, großen, leeren, im ersten Stock
gelegenen Gaststube wie an den Boden genagelt, hilflos, als wüßte
er nicht vorwärts und nicht zurück, und durch sein ausdrucksarmes
Gesicht mit dem ungepflegten dünnen, braunen Spitz^art zuckte
manchmal gleich fernem Wetterleuchten ein Flennen. An dem langen
Wirtstisch, der den sechs Stubenfenstern entlang stand, hockten die
beiden Buben, der Joseph und der Balzli, und staunten ins Leere.
Auf dem braunen Wachstuch des Tisches waren die sechs Fenster
abgezeichnet, eine schöne klare Reihe, immer ein helles Viereck
und der Schatten eines Pfostens dazwischen. In zweien von den
Vierecken standen die Schattenbilder der Buben, das breite des Joseph,
des in die Mannesjahre reifenden Burschen, mit dem borstigen Blond¬
kopf und dem sauberen, noch unbärtigen Gesicht, und das bescheidene
kleine des Balzli, des kaum in die ersten Hosen hineingewachsenen,
mit dem weißblonden, dünnen Haar und den schmalen, feinen Zügen.
„Jesus, sie ist tot!“ In dem Ausruf des Lammwirts lag die
ganze Größe des Unglücks, das über das Haus' gekommen war, aus¬
geprägt. Es ging der Mittagsstunde zu. Der Tisch hätte gedeckt
werden sollen. Der Bauer pflegte um diese Zeit Weisung zu be¬
kommen, was für Arbeit am Nachmittag auf dem Landbesitz zu tun
sei. der Joseph Rat zu erhalten, ob das Vieh auszulassen oder nicht,
und wohin es zu treiben sei, und der Balzli pflegte dahin oder dort¬
hin mitgeschickt zu werden, damit er für den Nachmittag versorgt
sei. Und die das alles ausdachte und ordnete, die war tot! [in Neben¬
zimmer lag sie. Die Tür dahin stand angelehnt. Ein Streifen hellen
Lichtes lief von der Spalte in die große Stube hinaus und'zeichnete
eine leuchtende schöne Linie in den nicht überreinen Boden.
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