Full text: [Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband])

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Welche Gegensätze! Vielleicht hat die Welt sie nie ärger nni> 
schreiender gesehen. Er der Sieger, der König der Besiegte, sie und 
ihr Haus. Er der Glückliche, sie die Unglücklichen. Er der Überwinder, 
sie die Gedemütigten. Er mit Pracht, Stärke und Herrlichkeit umgeben, 
sie auf die Grenze ihres Reiches beschränkt und ohnmächtig. Er in dem 
stolzen Gefühl seiner alles vermögenden Stärke, sie nach allen An¬ 
strengungen und Opfern klein und ohne Land und Leute. Er das 
Schicksal und die Verfügung in seiner Willkür, sie von seiner Gnade 
abhängig. Er stolz und gebieterisch, sie herabgedrückt und unglücklich. 
Die Geschichte, besonders die ältere, stellt uns Beispiele ähnlicher Art, 
von der einen Seite des Übermutes im Glücke, von der andern der 
tiefen Demütigung und Widerwärtigkeit, vor Augen; aber die Zusammen¬ 
kunft des siegreichen französischen Kaisers Napoleon mit dem Könige 
von Preußen Friedrich Wilhelm III. und seiner Gemahlin Luise gehört 
zu den seltenen Weltbegebenheiten, wie man sie nicht weiter in dieser 
Art gesehen hat. 
Um das Zwingende dieser unnatürlichen Zusammenkunft zu ver¬ 
stecken, ließ der reiche Kaiser die Königin, sie äußerlich zu ehren, in 
einem prachtvollen, achtspännigen Staatswagen unter einer zahlreichen 
und glänzenden Bedeckung von den Dragonern der Garde abholen. 
Der König, der die äußere Herrlichkeit nicht wollte, war ernst, voll 
innerer und äußerer Haltung, die Königin voll herzgewinnender Anmut 
und Unbefangenheit. Diese verließ sie auch in dem Augenblick nicht, 
der alles in sich vereinigte, was befangen und verlegen machen konnte. 
Befangen und verlegen war aber der mächtige Kaiser, und, überrascht 
von der Würde des Königs und der Schönheit der Königin, sagte er 
viel Verbindliches und Schmeichelhaftes, wobei er vorzüglich die Rede 
an sie richtete. Sie. ohne darauf zu achten, nahm das Wort, bedauerte, 
daß die Treppe des Hauses, welches zu der Zusammenkunft gewählt 
war, für ihn unbequem sei. und erkundigte sich nach seinem Befinden 
in dem schon nördlichen, unfreundlichen Klima Nachdem er, die Gerte 
in der Hand hin- und herbewegend, hierauf geantwortet, wandte er sich 
zum Könige und sagte: „Sire, ich bewundere die Größe und Stärke 
Ihrer Seele bei so vielem und. großem Unglück." Der König ant¬ 
wortete wahr, ruhig und fest: „Die Stärke und Ruhe der Seele giebt 
nur die Kraft eines guten Gewissens." Sei es nun, daß Napoleon 
durch diese treffende Äußerung gereizt wurde, oder daß er seiner stolzen 
Natur übermütig folgte, genug, er sagte wenigstens in Gegenwart der
	        
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