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Welche Gegensätze! Vielleicht hat die Welt sie nie ärger nni>
schreiender gesehen. Er der Sieger, der König der Besiegte, sie und
ihr Haus. Er der Glückliche, sie die Unglücklichen. Er der Überwinder,
sie die Gedemütigten. Er mit Pracht, Stärke und Herrlichkeit umgeben,
sie auf die Grenze ihres Reiches beschränkt und ohnmächtig. Er in dem
stolzen Gefühl seiner alles vermögenden Stärke, sie nach allen An¬
strengungen und Opfern klein und ohne Land und Leute. Er das
Schicksal und die Verfügung in seiner Willkür, sie von seiner Gnade
abhängig. Er stolz und gebieterisch, sie herabgedrückt und unglücklich.
Die Geschichte, besonders die ältere, stellt uns Beispiele ähnlicher Art,
von der einen Seite des Übermutes im Glücke, von der andern der
tiefen Demütigung und Widerwärtigkeit, vor Augen; aber die Zusammen¬
kunft des siegreichen französischen Kaisers Napoleon mit dem Könige
von Preußen Friedrich Wilhelm III. und seiner Gemahlin Luise gehört
zu den seltenen Weltbegebenheiten, wie man sie nicht weiter in dieser
Art gesehen hat.
Um das Zwingende dieser unnatürlichen Zusammenkunft zu ver¬
stecken, ließ der reiche Kaiser die Königin, sie äußerlich zu ehren, in
einem prachtvollen, achtspännigen Staatswagen unter einer zahlreichen
und glänzenden Bedeckung von den Dragonern der Garde abholen.
Der König, der die äußere Herrlichkeit nicht wollte, war ernst, voll
innerer und äußerer Haltung, die Königin voll herzgewinnender Anmut
und Unbefangenheit. Diese verließ sie auch in dem Augenblick nicht,
der alles in sich vereinigte, was befangen und verlegen machen konnte.
Befangen und verlegen war aber der mächtige Kaiser, und, überrascht
von der Würde des Königs und der Schönheit der Königin, sagte er
viel Verbindliches und Schmeichelhaftes, wobei er vorzüglich die Rede
an sie richtete. Sie. ohne darauf zu achten, nahm das Wort, bedauerte,
daß die Treppe des Hauses, welches zu der Zusammenkunft gewählt
war, für ihn unbequem sei. und erkundigte sich nach seinem Befinden
in dem schon nördlichen, unfreundlichen Klima Nachdem er, die Gerte
in der Hand hin- und herbewegend, hierauf geantwortet, wandte er sich
zum Könige und sagte: „Sire, ich bewundere die Größe und Stärke
Ihrer Seele bei so vielem und. großem Unglück." Der König ant¬
wortete wahr, ruhig und fest: „Die Stärke und Ruhe der Seele giebt
nur die Kraft eines guten Gewissens." Sei es nun, daß Napoleon
durch diese treffende Äußerung gereizt wurde, oder daß er seiner stolzen
Natur übermütig folgte, genug, er sagte wenigstens in Gegenwart der