Full text: [Teil 6 = Untersekunda, [Schülerband]] (Teil 6 = Untersekunda, [Schülerband])

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45. Die Lebenshaltung und der Volkscharakter der Anwohner 
des Mittelmeeres. 
Bei allen Verschiedenheiten, die aus der Rasse, den Geschicken und den 
örtlichen Bedingungen der Mittelmeervölker folgen, gehen gewisse gemeinsame 
Züge durch alle diese Völker hindurch, welchen Stammes sie auch seien, Züge, 
die der Einheitlichkeit ihres Lebensschauplatzes entstammen. Diese gemein¬ 
samen Eigentümlichkeiten des Mittelmeermenschen herauszuheben soll nun 
unsere Aufgabe sein; das Besondere der einzelnen Völker zu schildern, bleibt 
der besonderen Landeskunde der Teilgebiete überlassen. 
Diese Eigenschaften der südeuropäischen Menschheit, die ihr die Be¬ 
schaffenheit des Mittelmeergebietes aufgeprägt hat, sind teils geistiger und 
sozialer Art, teils zeigen sie sich in Wirtschaft und Siedelungen. 
Über die gemeinsamen geistigen Eigenschaften der Mittelmeervölker 
können wir nur ganz andeutungsweise sprechen. Die vergleichende Völker¬ 
kunde ist noch zu wenig entwickelt, um in wissenschaftlicher Weise den geistigen 
Gehalt der Nationen auf die Natur ihrer Umgebung zurückzuführen; man 
muß sich meist darauf beschränken, längst ausgesprochene, zu Gemeinplätzen 
gewordene, aber darum doch nicht unanfechtbare Beziehungen zu wiederholen 
— wie etwa den Einfluß der klaren, durchsichtigen Luft auf die astronomischen 
Kenntnisse oder auf die künstlerische Gestaltungskraft der Mittelmeervölker, 
des heiteren Sonnenscheins auf ihre Dichtkunst, ferner alle die einzelnen Züge, 
welche Natur und mythisch-religiöse Vorstellungen ursächlich verknüpfen. 
Klarer ist der Einfluß des Klimas auf die Lebensweise und manche 
sozialen Gewohnheiten, die wiederum auf den Volkscharakter nachwirken. Das 
Bedürfnis nach kräftiger, gehaltvoller Nahrung, besonders Fleischnahrung, ist 
im dortigen Klima entschieden geringer als bei unsZ — ist doch ein Fleisch¬ 
gericht für die ärmeren Klassen des eigentlichen Mittelmeergebietes die be¬ 
sondere Freude der höchsten Festtage. Ebenso allgemein wie die Mäßigkeit 
im Essen ist die Nüchternheit im Trinken. Obwohl Wein und auch Schnaps 
überall — außer bei den Mohammedanern — zum täglichen Bedarf gehören, 
ist der Mißbrauch selten, Trunkenheit allgemein verachtet. Anderseits ver¬ 
langt die Erzeugung der Nahrungsmittel ebenso entschieden weniger Arbeit 
und Kosten, ist der Bedarf an Wohnung, Kleidung und Feuerung geringer. 
Daher ftitb die täglichen Bedürfnisse des gemeinen Mannes leichter zu be¬ 
friedigen, das ganze Leben nicht so mühevoll und aufreibend. Es wird daher 
im allgemeinen weniger gearbeitet als bei uns, man sieht viel mehr Müßig¬ 
gänger, und zwar aus allen Volksklassen. Das ist eine Eigentümlichkeit, die 
jedem Nordländer auffällt, mag er den Korso und die Kaffeehäuser oder die 
1) Vgl. den Aufsatz im Untertertia-Teil S. 156 ff.: Die Lebensbedingungen der 
Menschen und Tiere.
	        
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