Full text: [Teil 6 = Untersekunda, [Schülerband]] (Teil 6 = Untersekunda, [Schülerband])

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Beamten die kärglichen Bureaustunden in ihren Amtsräumen absitzen. In 
kleineren Orten ist mau sicherer, den Bürgermeister, den Polizeichef usw. in 
seinem Lieblingscafe als in seinem Bureau zu treffen. Und wer nicht be¬ 
schäftigt ist, treibt sich sicher auf dem Markte, Korso oder in den Cafes herum; 
auf dem Lande sitzt stets eine Schar müßiger Männer auf dem Dorfplatze, 
vor der Kirche oder der Moschee in eifrigem Gespräch. Auf dem Markte und 
im Kaffeehaus werden die Geschäfte, der Klatsch, die öffentlichen Angelegen¬ 
heiten besprochen. 
Dieses Leben des Mannes in der Öffentlichkeit ist eine Eigenheit der 
Mittelmeervölker, die durch alle Zeiten geht. In antiken Städten spricht die 
Enge der Privathäuser, die Pracht des Marktes und der öffentlichen Säulen¬ 
hallen, die auch bei schlechtem Wetter das Umherschlendern erlaubten, eine 
ebenso beredte Sprache wie die schriftliche Überlieferung. An die Stelle der 
Säulenhallen sind heute die Kaffeehäuser und die Laubengänge getreten. 
Man könnte den Gegensatz etwa so ausdrücken: der Nordländer verläßt sein 
Haus nur, wenn ein bestimmter Anlaß dazu vorliegt, der Südländer kehrt 
nur aus solchem dahin zurück. 
Das ist ein Zug des menschlichen Lebens, der unmittelbar den: Klima 
entstammt. Er hat die bedeutsamsten Folgen und erklärt manche Eigentüm¬ 
lichkeit des „südländischen" Volkscharakters, die mehr oder weniger alle Völker 
des Mittelmeeres von dem Nordländer unterscheidet. So die geringere Wert¬ 
schätzung des Hauses und der Häuslichkeit, die untergeordnete Stellung und 
Geistesentwicklung der Frau bei aller ausgeprägten Familienliebe und trotz 
hoher Achtung vor beit Eltern und dem Alter, besonders auch vor der Mutter. 
Die mangelnde Gewohnheit seßhafter, ausdauernder geistiger Arbeit, die uns 
bei dem Durchschnitt der südländischen gebildeten Stände entgegentritt 
und sich so oft in Oberflächlichkeit der Kenntnisse und Leistungen äußert, sie 
ist eine weitere Folge des Lebens im Freien; anderseits aber die früh und 
allgemein erworbene Gewandtheit des Mannes im Umgang, hochentwickelte 
gesellige Formen, Höflichkeit selbst in niedrigen Volksklassen, schnelle Auf¬ 
fassung, geschickte Anpassung, Redegewandtheit, die sich viel häufiger als bei 
uns zu blendender Nedegabe steigert, unterstützt von einem ausdrucksvollen 
Gebärdenspiel; ebenso der große Eindruck der Redekunst auf die Masse, die 
schnelle Verbreitung von neuen Ideen im Volke, damit zusammenhängend die 
Wankelmütigkeit und leichte Entzündlichkeit der Volksmassen; endlich das 
große Interesse, das jeder im Volk den allgemeinen Angelegenheiten, mögen 
sie eine große oder kleine Allgemeinheit betreffen, entgegenbringt: der ent¬ 
wickelte politische Sinn des Volles. Die Bewegung in der Öffentlichkeit gibt 
dem Südländer auch ein gut Teil äußerlicher Eitelkeit. Eine „gute Figur" 
zu niachen, vornehm und edel oder reich zu scheinen, sich über seine Mit¬ 
menschen zu erheben, ist ihm ein Bedürfnis. Man weiß, wie der italienische
	        
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