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nicht über die Zeit, sondern aus ihr heraus; das merkt man den Liedern
an. Sie sind ein getreuer Ausdruck der Stimmungen und Bewegungen der
Leiden und Kämpfe ihrer Zeit. Viele sind vom Pulverdampf geschwärzt.
Alle bekämpfen das Fremdländische, einige bis zur Franzosenfresserei. Alle
dringen auf das Eigenartige, einige bis zur Deutschtümelei: was nicht deutsch
ist, das hat ihnen überhaupt kein Recht in Deutschland. Auch diese großartige
Einseitigkeit lag in dem Charakter der Zeit. Das Weltbürgertum der
vorangehenden Zeit schlug in sein Gegenteil um. Man war lange genug
alles gewesen; nun wollte man überhaupt nichts mehr sein als deutsch.
„Deutschland, Deutschland über alles!" das war die Losung auf allen Gebieten
des Lebens geworden, in Kunst und Wissenschaft, in Kirche, Staat und
Familie. Dahin hatten's die Welschen gebracht wider ihren Willen. Und
wenn darum die Dichter, was nicht deutsch ist, unbedingt verfemen und, was
deutsch ist, ebenso unbedingt erheben, so sprechen sie damit nicht eine persön¬
liche Liebhaberei aus, für die sie das Volk erst gewinnen wollen, sondern sie
leihen nur dem seine Sprache, was als kräftiges Gemeingefühl im ganzen
Volke lebte, bewußt oder unbewußt. Sie geben nur der Zeit zurück, was sie
von der Zeit empfangen haben. Ihre Lieder sind ebenso eine reife Frucht
wie ein mächtiger Hebel der allgemeinen Bewegung.
Gemeinsam ist allen Dichtern ferner dies, daß sie unablässig die Einig¬
keit und Einheit des Vaterlandes betonen. Das ganze Deutschland soll
es sein, darin sind alle einig. Es gibt keine preußischen und österreichischen
Helden, es gibt nur deutsche: Schill und Andreas Hofer, Blücher und Erz¬
herzog Karl, der Sieger von Aspern, sie gehören dem ganzen Vaterlande an.
Das Besondere, was die deutschen Stämme trennt, muß zurücktreten hinter
dem Allgemeinen, was sie verbindet und einigt. Deutschland, im Innern ge¬
einigt, ist unüberwindlich. Und wenn dies Ziel erreicht ist, dann erst ist der
Morgen gekommen, nach dem „sich sehnen alle Frommen," der Morgen der
Freiheit. Dann steht Deutschland in seiner Herrlichkeit da, und Kaiser und
Reich sind wieder erstanden. Man sieht, die Dichter sind auch hier immer
die Propheten ihrer Zeit, sie schauen in der Saatzeit schon die Ernte, sie weis¬
sagen die zukünftige Erfüllung. Wenn sie sangen von dem einen Deutschland,
da standen sie auf dem Höhepunkte des deutsch-nationalen Lebens, dem die
Geschichte seit 1815 sichtbarlich und unaufhaltsam wieder entgegendrängte.
Und wenn sie, was wir nun besitzen, im voraus poetisch ins Dasein zu rufen
sich bemühten, so haben sie sich auch hierin als echte Deutsche bewiesen. Wir
sind ein solches Volk, das von Gedanken zu Taten kommt, nicht umgekehrt.
Endlich sind die Dichter der Befreiungskriege allesamt religiös gestimmt.
Sie sind es mehr oder weniger, aber sie sind es ohne Ausnahme. Sie sind
die Träger der religiösen Grundstimmung der Zeit. Die Not hatte wieder
beten und der Sieg danken gelehrt. Als das irdische Vaterland verloren
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