231
920
270. Der rechte Steuermann.
Caspari.
Ein Geistlicher in einem Seestädtchen fuhr auf einem kleinen Schiffe
vom Ufer nach der gegenüberliegenden Insel. Am Hinterteil des Schiffes
stand der Steuermann; vorn saßen zwei Matrosen, Vater und Sohn, und
handhabten die Ruder. „Ihr seid heute wieder traurig, Jack,“ sagte der
Geistliche zu dem Vater. „Freilich,“ antwortete der Matrose; „der Winter
ist vor der Thür, und wie wird's werden mit meinen fünf Kindern? Ich
bin den ganzen Tag voller Sorge.“ — „Das sollt ihr aber nicht sein;
denn der Heiland sagt: Sorget nicht!“ — „Den Spruch versteh' ich nimmer
und nimmer; also soll ich mich jetzt auf die faule Haut legen, von meinen
paar ersparten Groschen mir einige gute Tage machen und es darauf an— 10
kommen lassen, b der liebe Gott etwas beschert für Weib und Kind, oder
ob sie hungern und frieren müssen?“
„Das nicht, aber — holla, Jack! was ist denn das?“ rief plötzlich der
Geistliche; „wir fahren eben durch die Klippen, und ihr schaut euch nicht
einmal um danach? Thut eure Schuldigkeit!“ — „Ei,“ sagte der Matrose 1
gleichgültig, „das ist Sache des Steuermanns.“ — „Thut eure Schuldig—
keit, Jack! sage ich noch einmal, und dämmert nicht o vor euch hin; seht
ihr denn die Klippen nicht? Wir gehen zu Grunde, Lenn ihr's so leicht—
sinnig mit eurer Arbeit nehmt.“ — „Schuldigkeit thun? — leichtsinnig
nehmen?“ erwiderte der Matrose; „Herr, wie kommt ihr mir vor? Arbeit' ꝛ0
ich nicht aus Leibeskräften? Soll ich vielleicht steuern helfen?“ — „Freilich,“
sagte der Geistliche, „damit es glücklich vorwärts geht.“ — „Ach, das wäre
ja eine unnütze Geschichte, Herr. Jeder thut eben das Seine; dann wird
schon alles recht werden. Der Steuermann steuert, und ich führe das Ruder.
So ist's Schiffsbrauch!“
„Nun, nehmt's nur nicht übel, Jack!“ erwiderte lächelnd der Geistliche
„im Reiche Gottes ist's eben auch so Brauch. Das Arbeiten ist eure Sache;
das thut aus Leibeskräften und seht dabei nicht rechts und links! — Die
Sorge aber, daß ihr bei eurer Arbeit zu Grunde gehen und nicht vor—
wärts kommen möget, die erspart euch und laßt sie dem, der am Steuer 50
sitzt, und von dem geschrieben steht: All' eure Sorge werfet auf ihn; denn
er sorget für euch.“
271.
Das Riesengebirge.
Nach Semmler.
Das Riesengebirge macht den höchsten Teil der Sudeten aus und
ist das höchste Gebirge in Mitteldeutschland; seine Höhe beträgt 1260 m,
und die Riesen- und Schneekoppe ist gar 15666m hoch. Es ist bewohnt; 5
der Reisende trifft noch in einer Höhe von 1000 - 1200 mn einzelne Senn—
hütten, weidendes Vieh, grasmähende Arbeiter, Kräuter- und Moossammler.
Dörfer giebts allerdings in solcher Höhe nicht, aber viele zerstreute Woh—
nungen, Bauden genannt. Man zählt deren wohl an 3000; ihre Bewoh—
ner treiben Rindvieh- und Ziegenzucht. Diese Bauden sind von Holz, auf 10
einer steinernen Grundlage errichtet, welche etwa 2 Meter hoch über den