Full text: Oberstufe: Erster Kursus (Teil 5, [Schülerband])

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sich nach der Festschule in eine nahe gelegene Schenke begaben, wo in 
demselben Grade frohe Ungebundenheit herrschte, als in der Kirche Heiliger- 
Ernst. Hier wurde der Wein getrunken, den der eine zur Buße, wie 
der Meister Kothuer, der andere zur Ehre hergeben mußte, wie Meister 
Behaim, weil er zum ersten Male begabt war. Fünf Maß Wein gab 
es heute zum Nachschmause. Die Meistersänger, etwa sechzehn an der 
Zahl, gingen über die Gasse paarweise hinter einander von der Kirche 
bis zur Schenke. Der bekränzte Behaim eröffnete den Zug. Er hatte 
die Verpflichtung, für die Aufrechthaltung der Ordnung zu sorgen, und 
wie einem Merker mußten sie ihm alle folgen. Die geputzten Gäste 
stachen sonderbar genug von der Schenke ab, die von außen und innen 
gleich beräuchert und verfallen aussah. In dem langen Zimmer standen 
bloß Tische und Bänke von der Art, wie man sie in Landgärten findet. 
Allein heiterer Mut und ein gutes Glas Wein ließen alle die Mängel 
übersehen. Tisch an Tisch wurde zusammen geschoben, und zu beiden 
Seiten setzten sich die Sänger. Obenan befand sich Behaim. Sein Thron 
war ein Lehnstuhl und sein Scepter der Ruhe gebietende Hammer. Ich 
saß neben Hans Sachs. Als ich, von den Nachbarn gedrängt, hart 
anrückte, so merkte ich, daß seine Ärmel mit Fischbeinstäbchen gesteift 
waren, und dies gab mir Veranlassung, die sonderbare Tracht recht 
genau anzusehen. Die Jacke war von meergrünem Zeuge mit mehreren 
Schlitzen auf der Brust, durch die das Hemd vorschimmerte, dessen fal¬ 
tiger Kragen den Hals scheibenförmig umschloß. Die Ärmel waren von 
schwarzem Atlas, in welchem zackige Einschnitte in bestimmten Linien künst¬ 
lich eingehakt waren, so daß überall das helle Unterzeug hindurch blickte. 
Mitten auf der Tafel stand ein Weinfäßchen, und einer der Meister 
hatte das Geschäft des Zapfens, indem ihm ohne Aufhören die leeren 
Becher gereicht wurden. Als mancherlei besprochen und belacht war, 
mahnte ich Nürnbergs berühmtesten Sänger an das mir gegebene Ver¬ 
sprechen. Er war bereit. Behaim klopfte mit dem Hammer und fragte 
alsdann die Versammelten, ob sie nicht ein Kampfgespräch versuchen 
wollten. Niemand wandte etwas dawider ein. Er fragte wieder, wer 
fingen wollte, und drei Meister hoben die Hände auf; es war Behaim 
selbst, Hans Sachs und Peter Bischer. Hans Sachs sollte eine Streit¬ 
frage auswerfen, und um meinetwillen, da er wußte, daß ich mich viel 
in Künstlerwerkstätten umgethan hatte, wählte er einen dahin zielenden 
Gegenstand. 
Hans Sachs. 
Ihr Freunde, sagt mir, wenn ihr wißt, 
Wer der künstlichste Werkmann ist? 
Peter Bischer. 
Das ist fürwahr der Zimmermann; 
Wer hat's ihm jemals gleich gethan?
	        
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