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demselben auch wieder dem Einzelnen zu. Und so kann es uns denn
nicht zweifelhaft sein, was allen ohne Unterschied obliegt. Tugend üben,
Pflichten erfüllen, der Sünde wehren, Schätze des Geistes und des Herzens
sammeln und mit denselben ebenso wie mit dem flüchtigen Erdengute
nützen und helfen, Gutes thun und Segen stiften, so viel jeder vermag,
das ist die große Aufgabe unseres Lebens, und je vollständiger wir alle
dieselbe zu lösen trachten, desto reicher an Segen wird unsere irdische
Wallfahrt, desto glücklicher überwinden wir Gefahr und Not, und desto
freudiger steuern wir gemeinsam dem großen Ziele zu.
Denn so ist es, und darin eben, in dem Ziele, zu welchem unser
Leben führt, bietet sich denn für unsere gegenwärtige Betrachtung der
letzte Vergleichungspunkt dar. Das Umherschiffen auf den Fluten des
Meeres ist nicht Zweck an sich, sondern nur Mittel zu einem höheren
Zwecke. Wer die gefahrvolle Reise über den Ocean antritt, will zu irgend
einem Ziele gelangen: der eine will aus Wißbegierde fremde Weltteile
besuchen, der andere entfernte Geschäftsverbindungen anknüpfen, der dritte
nach langer Trennung in die Heimat zurückkehren; kurz, alle wollen nicht
auf dem Meere verweilen, sondern das Land finden, nach welchem ihre
Sehnsucht gerichtet, und einlaufen in den schützenden Hafen. Darum ist
es die Hoffnung, was bei der Einförmigkeit einer langwierigen Fahrt
und unter drohenden Gefahren sie beseelt. Und wenn dann nach dem
langen Wechsel heiterer und stürmischer Tage zuerst am fernsten Saum
des Himmels der Punkt sich zeigt, worin das geübte Auge Land erkennt,
— o dann ertönt freudiger Jubel aus aller Mund, fröhlicher steuert
man dem Hafen zu, und wenn nun endlich das Schiff vor Anker liegt
und alle wieder den festeren Boden der mütterlichen Erde betreten, da
bringen sie voller Rührung dem Allmächtigen die Opfer des Dankes für
ihre Rettung und Erhaltung dar; der Heimgekehrte eilt dem ersehnten
Vaterhause zu, und nach langer, schmerzlicher Trennung feiern Väter
und Mütter, Brüder und Schwestern, Kinder und Freunde das frohe
Fest des Wiedersehens. — So segeln auch wir auf dem Meere des Lebens
einher, nicht um auf demselben eine bleibende Stätte zu gewinnen, son¬
dern um zu einem hohen und heiligen Ziele zu gelangen. Der Fromme
wendet den Blick von diesem Ziele nicht ab, und heilige Sehnsucht nach
ihm ergreift ihn in manchen ernsten, geweihten Stunden, wie den Reisen¬
den in weiter Ferne das Heimweh. Und wenn er dann endlich mit
gläubig hoffendem Gemüte das jenseitige Ufer aus der Ferne erblickt,
o dann begrüßt er freudig das gelobte Land, läuft mit voller Zuversicht
in den Hafen des Todes ein, betritt mit Preis und Dank die ewige
Heimat und sinkt anbetend nieder, wenn der Schauplatz neuer Segnungen
in dem höheren Reiche Gottes sich vor ihm aufthut und in dem großen
Vaterlande das Freudenfest des ewigen Wiedersehens beginnt. — O so
lasset uns denn mutig und getrost fortsteuern anf dem wandelbaren und
Wirth, Lesehuch V. 2