449
treten werden." Kaum hatten wir uns niedergesetzt, so umgab uns eine
Finsternis, die nicht mit einer mondlosen Wolkennacht im Freien, sondern
nur mit der in einem verschlossenen Zimmer ohne Licht verglichen werden
kann. Man hörte nichts als das Geheul von Weibern, das Geschrei von
Kindern und die Rufe von Männern; die einen riefen nach ihren Eltern,
die andern nach den Kindern, andere nach ihren Weibern; der bejam¬
merte sein eigenes Unglück, jener das der Seinen; manche wünschten sich
den Tod aus Furcht vor dem Tode. Viele erhoben ihre Hände zu den
Göttern; die meisten riefen, es gebe keine Götter mehr, das sei für die
Welt die ewige, letzte Nacht. Nicht wenige vermehrten noch die wirk¬
liche Gefahr durch erdichtete und erlogene Schrecken; sie sagten, ein Teil
von Misenum sei zusammengestürzt, ein anderer stehe in Brand. Das
war nicht wahr, aber man glaubte es. Jetzt wurde es ein wenig hell;
aber wir hielten das nicht Mr den Tag, sondern für ein Zeichen heran¬
nahenden Feuers. Aber das Feuer blieb uns fern, und es wurde wiederum
Nacht, und wiederum fiel eine Masse schwerer Asche. Wir standen öfter
auf und schüttelten sie ab, sonst wären wir davon begraben und erdrückt
worden. Endlich lichtete sich jene Finsternis und zerfloß gleichsam zu
Rauch und Wolken. Bald kam der wirkliche Tag, auch erschien die
Sonne wieder am Himmel, aber nur sehr blaß, wie wenn eine Sonnen¬
finsternis beginnt. Jeder Gegenstand, der unsern furchtsamen Blicken
sich darbot, war verödet und mit tiefer Asche wie mit Schnee bedeckt.
Wir gingen nach Misenum zurück und brachten dort eine unheimliche
Nacht zu, schwankend zwischen Hoffnung und Furcht, zumal das Erd¬
beben noch immer fortdauerte; doch konnten wir uns nicht zur Abreise
entschließen, ehe wir eine Nachricht von dem Geschick des Oheims hatten."
Die verschütteten Städte lagen mehr als iy2 Jahrtausende unter
ihren Decken begraben, ein kostbarer Schatz, welchen zu heben und zu
reichster Belehrung auszubeuten unserer Zeit von einem gütigen Geschicke
vorbehalten war. Zuerst fand man im vorigen Jahrhundert Herculanum,
über welchem eine 68—100 Fuß dicke Lavadecke liegt und der Ort Por-
tici und ein Teil von Resina erbaut worden sind. Als nämlich der
Prinz Emannel von Elbeuf aus Lothringen im Jahre 1720 zu Portici
eine Villa zu bauen begann, traf mau beim Graben eines Brunnens
auf die Scene des Theaters von Herculanum; geregelte Ausgrabungen
erfolgten jedoch erst mit dem Jahre 1738. Im ganzen aber sind die
Ausgrabungen in Herculanum eine Art von rohem Raubbau gewesen,
welcher auf die Auffindung von Kunstschätzen ausging. Da eine zu Stein
verhärtete, sehr tiefe Decke auf der Stadt ruht und sie auch wegen der
Orte Portici und Resina, die darauf stehen, nicht bloß gelegt werden
kann, so drang man nach Art der Bergleute in unterirdischen Gängen
nach den einzelnen Räumen vor, und war ein Haus durchsucht und aus¬
geräumt, so füllte man es hernach wieder mit dem Schutt eines andern,
Wirth, Lesebuch. V. 29