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emporgeschwungen, daß ihre Bekenner die Fetische, die ersten rohen Gegen-
85 stände ihrer Anbetung, zu menschlichen Gestalten veredelten und, indem sie
die Götter zu Menschen machten, sich selbst zu Göttern erhoben. Weit waren
sie also auch schon hierdurch vor dem Ägypter, Phönizier, dem Inder voraus,
welche nie aufhörten die Tiergestalt oder irgend ein gemischtes Ungeheuer
auf ihren Altären zu ehren und ihren Anhängern keinen Weg ließen als eut-
90 weder dem alten Unsinn zu huldigen oder in höhnenden Unglauben über¬
zugehen, während die hellenische Religion einer fortschreitenden Veredelung
fähig war; und die Sitten des Olympos besserten, die Götter veredelten sich,
sowie die ihnen verwandten Menschen größer und edler wurden.
Es übertreffen weiter die Griechen alle andern Völker der alten Welt
95auch durch ihre geistigen Produktionen. Es ist genug, an diesen Punkt
hier mit einem Wort zu erinnern. Kein Volk der alten und neuen Zeit hat
eine so lange Reihe von Jahrhunderten hindurch die Gärten der Musen
mit einem so glücklichen Erfolge angebaut und in allen Gattungen aus eige¬
ner Kraft und ohne alle fremde Einwirkung eine so große Menge muster-
100 Hafter Werke erzeugt. Wäre auch nur ein einziger Dichter wie Sophokles,
ein Geschichtschreiber wie Thukydides, ein Philosoph wie Platon auf uns
gekommen: welche Vorstellung müßten wir uns auch dann schon von der
Bildung der Hellenen machen! Aber nun zieht sich ein langer Kranz solcher
Heroen von Homer (ungefähr 950 Jahre v. Chr.) bis zum LonginusZ (starb
105 im Jahre 273 nach Chr.) herab; und obgleich in der spätern Zeit die Flamme
der griechischen Genialität ermattet, so erlischt sie doch nie ganz und der
feine Kunstsinn dieser Nation erhält sich fast bis zu ihrem Erlöschen.
Endlich erkennen wir den hohen Standpunkt der hellenischen Bildung
auch in den Kunstwerken dieser Nation. Ganz Hellas und alle helleni-
iioschen Städte waren mit Kunstwerken angefüllt, welche teils die Religion
teils das gemeine Wesen teils die Pietät der Familien forderte. Da das
Leben der meisten Menschen mehr öffentlich als häuslich war und die Be¬
dürfnisse der Privatpersonen sich auf das Notwendigste beschränkten, daher
auch ihre Wohnungen weder prächtig erbaut noch üppig ausgeschmückt waren,
115 so erhielten fast alle Werke der Kunst eine öffentliche Bestimmung, die ihnen
selbst einen höheren Charakter und dem Volke das lebendigste Interesse an
der Kunst gab. Noch sind die Trümmer ihrer Tempel und öffentlichen Ge¬
bäude das Wunder der Welt und selbst die Bruchstücke ihrer Statuen das
Studium sinniger Künstler. Kein anderes Volk ist fruchtbarer gewesen an
120 Werken der Kunst, an hohen und großen Gestalten jedes Charakters. Um
einen Steinhaufen zu ägyptischen Pyramiden aufzutürmen oder die Hiero¬
glyphen eines Obeliskenkegels auszuschleifen oder die kolossale Gestalt einer
st ein großer Gelehrter (Philosoph, Rhetor und Grammatiker).