Ursachen des Untergangs der römischen Republik
von Karl Peter.
Ein Volk, von den geringsten Anfängen ausgehend, ursprünglich nicht
größer und anscheinend auch nicht anderer Art als unzählige andere kleine
Völker Italiens oder Griechenlands, gewinnt in sich allmählich die Kraft
um erst seine Nachbarn, dann ganz Italien und endlich die sämtlichen um
5 das Mittelmeer herumwohnenden Völker, die Hauptträger der Kultur der
alten Welt, seiner Herrschaft zu unterwerfen. Und mitten unter diesen äußeren
fast ununterbrochenen Kämpfen schasst sich eben dieses Volk mit nicht ge¬
ringerer Anstrengung eine Verfassung, in welcher Achtung und Gehorsam
gegen Gesetz und Obrigkeit und die freie Bewegung aller seiner Bürger,
10 die beiden Pole, durch deren Gegenwirkung das Leben und die Entwickelung
eines Staatswesens bedingt ist, wenigstens ein Jahrhundert hindurch in
dem glücklichsten Gleichgewicht erhalten werden.
Das Geheimnis dieser Größe besteht hauptsächlich in dem, was wir
die politische Virtuosität der Römer nennen möchten. Teils durch den Dienst
15 für das Vaterland im Krieg teils durch die langen Parteikämpfe zwischen
Patriziern und Plebejern hatte die dadurch bewirkte Richtung aller Gedanken
und Empfindungen auf die öffentlichen Angelegenheiten nach und nach eine
Gewalt über die Gemüter gewonnen, vor der alle übrigen Interessen, auch
die für Kunst und Literatur und für Familienleben, vor der aber auch alle
20 Regungen des Egoismus zurücktraten. Jeder römische Bürger war zu jeder
Zeit bereit dem Rufe der Obrigkeit zur Kriegsarbeit für den Ruhm und die
Größe des Vaterlandes zu folgen, der geringe sowohl wie der vornehme;
jener verließ seine enge Hütte und opferte seinen geringen Wohlstand um in
die Reihen der Krieger einzutreten, dieser strebte nicht nur mit aller Kraft
25 danach, eine immer höhere Sprosse auf der Stufenleiter der Ehre und der
Macht zu erreichen, sondern weigerte sich auch nicht, wenn es von ihm ge¬
fordert wurde, von höheren Ehrenstellen zu niedrigeren herabzusteigen. Und
wie in der Wirkung nach außen, so zeigte sich dieselbe lebhafte Beteiligung
an den öffentlichen Angelegenheiten auch im Innern. Das höchste Ziel aller
30 Bestrebungen und der größte.Stolz für den römischen Bürger war es, dem
Dienste des Staates in öffentlichen Ämtern alle seine Kräfte widmen zu
können und sich durch seine Leistungen in denselben die Anerkennung des
Senates und des Volkes zu erwerben; aber auch diejenigen, welchen es nicht
gelang sich zu einer höheren Stellung emporzuarbeiten, waren eifrig be
35 müht durch Teilnahme an den Volksversammlungen und durch sonstige
Betätigungen des Gemeinsinnes ihren Bürgerpflichten zu genügen und das
Ihrige zur Unterhaltung eines regen politischen Lebens beizutragen.