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von bent Irdischen und Nichtigen hinweg dein Ewigen und Göttlichen zu;
eine ernste und glühende Religiosität wurde allgemeine Stimmung, man ging
in den Krieg wie zum Gottesdienst, mit tiefer und froher Andacht, das Bild
des großen Vaterlandes vor Augen, welches aus dem Blute der Gefallenen
zu der alten Herrlichkeit emporwachsen sollte. Ehe die Freiwilligen aus Berlin
ausrückten, baten sie Schleiermacher um einen Abschiedsgottesdienst. Er
predigte ihnen über Matth. 11, 2, die neue Zeit tritt ein, wenn die Blinden
sehen, — die Vorurtheile fallen — die Tauben hören u. s. w. Am Schluß
redete er die Mütter der jungen Soldaten an, und pries sie glückselig, solche
Söhne geboren zu haben; sie weinten und schluchzten, aber sie waren glück¬
selig. So entstand ein Heer, wie es kein zweites in der Geschichte gibt.
Ein Verein grauer Veteranen und unbärtiger Jünglinge mit der besten Mannes¬
kraft der Nation, soldatischer Ungezwungenheit und Derbheit mit religiösem
Schwünge und gewissenhafter Sitte, brausender Freiheitsliebe mit strengem
Pfltchtgefühl und treuem Unterthanensinn.
Napoleon hatte die Wintermonate hindurch mit der größten Anstrengung
und der ganzen Fülle seines Organisationstalentes gerüstet; Ende April war
er mit 120,000 Mann neuer, junger Truppen in eiligem Marsch durch
Franken und Thüringen gegen die Elbe. Die Verbündeten Batten 85,000
Mann zwischen der Saale und der Elster versammelt, die Preußen unter
dem alten Reitergenerale Blücher, die Russen nach Kutusow's Tode unter
Wittgenstein. Trotz ihrer Minderzahl beschlossen sie, ihm nach einem geist¬
reichen Plane Scharnhorsts von der Flanke her in seine langgedehnten Marsch-
colonnen zu fallen; so kam es am 2. Mai zu der Schlacht von Lützen,
der ersten mörderischen Feuertaufe für das junge Blut der deutschen Frei¬
willigen. Wittgenstein führte Scharnhorsts Plan schlaff und langsam aus;
das Zaudern der Russen machte es Napoleon möglich, starke Reserven heran¬
zubringen, und endlich durch ein zermalmendes Geschützfeuer den Rückzug der
Gegner zu entscheiden. Sie wichen langsam, wohlgeordnet hinter die Spree
nach Bautzen, und lieferten dort am 20. und 21. eine neue große Schlacht,
mit gleichem Erfolge: wieder blieb das Schlachtfeld in Napoleons Händen,
wieder war der stärkste Verlust, über 20,000 Mann, auf seiner Seite, wieder
geschah der Abmarsch der Verbündeten in der festesten Haltung, ohne eine
Fahne, ein Geschütz zu verlieren. Sie zogen sich, Berlin preisgebend, nach
Schlesien und nahmen, an die österreichische Grenze gelehnt, im Gebirge, eine
nach Norden gerichtete Stellung, in der Flanke der feindlichen Marschlinie.
Ihr Muth war trotz der feindlichen Erfolge ungebrochen, das Vertrauen im
Heere und im Volke so feurig wie jemals, der einzige Gedanke, nur keinen
Frieden, keinen faulen Frieden zu schließen. Zum Heile Deutschlands und
Europa's waren dem Stolze Napoleon's auch geringe Opfer unerträglich. Er
ließ sich auf Unterhandlung und Waffenstillstand ein, lediglich um Zeit zur
Vervollständigung seiner Rüstungen zu gewinnen. Der letzte Termin des
Stillstandes war der 10. August; wenn an diesem Tage Napoleon's Zu
stimmung ausbliebe, hatte Oesterreich die Kriegserklärung zugesagt. Mit
tiefer Spannung warteten in Prag^ die Bevollmächtigten Stunde auf Stunde
des kaiserlichen Couriers aus Dresden; der Abend kam, aber keine Botschaft
von Napoleon; endlich schlug es Mitternacht, und einer unermeßlichen Last
enthoben, erklärte der preußische Gesandte Wilhelm Humboldt den Kongreß
beendigt. Durch die Nacht hindurch trugen Feuersignale die freudige Kunde
von Berg zu Berg nach Schlesien hinüber, und ohne einen Augenblick zu