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da sich dieser Marschall von der schwachen, etwa 16,000 Mann starken Ab¬
theilung des Generals Thielemann hatte hinhalten und beschäftigen lassen^
vb getäuscht durch eine falsche Beurtheilung von der Stärke der feindlichen
Streitkräfte, ob zweifelhaft wegen Unvollständigkeit der erhaltenen Befehle,
vder aus Mangel an Befehlen, oder zufolge jener mattherzig-schlaffen Lauheit,
die sich aller jener alten französischen Marschälle bemächtigt hatte, oder endlich
vermöge geheimer Einverständnisse mit den Bourbons, ist ungewiß geblieben,
^ewiß aber ist, daß der Mißgriff, den er beging, wesentlich, ja entscheidend
!ur Niederlage des französischen Heeres beitrug. Denn so konnte es geschehen,
daß das ganze preußische Heer nicht nur zur rechten Zeit auf dem Schlacht-
felde eintraf, sondern auch ungehindert mit seiner vollen Kraft wirken und
das französische Heer in seinen Stellungen bei Planchenois im Rücken an¬
greifen konnte. Da nun auch das englische Heer zu gleicher Zeit wieder¬
um Angriff überging, so ward das französische Heer zersprengt und zur
wildesten Flucht genöthigt.
LI. Napoleon und Hannibal.
(Von H. von Keyserlingk.)
Was Napoleons politisches und kriegerisches Leben betrifft, so kann er
m dieser Beziehung am passendsten mit Hannibal verglichen werden, den er
selbst den ersten Feldherrn der Geschichte nennt. Wie jener schon als ein
Neunjähriger Knabe seinem Vater Hamilcar einen ewigen und unversöhnlichen
Haß dem stolzen Rom geschworen hatte, so war auch Napoleon ein unver¬
söhnlicher Gegner des stolzen, meerbeherrschenden Großbritanniens; wie jener
ein junger, 26jähriger Mann den Oberbefehl über das karthagische Heer
Spanien erhielt, mit demselben mit einer beispiellosen Kühnheit über die
Phrenäen, quer durch Gallien und über die Alpen nach Italien zog, um
seinen Feind im Herzen seiner Macht anzusuchen und anzugreifen, so erhält
auch der 26jährige Bonaparte den Oberbefehl über ein entmuthigtes, von
^llem entblößtes Heer, und geht mit demselben kühn über die Alpen, um
das trefflich gerüstete, mit Allem reichlich versehene, tapfere und ihm zwiefach
aberlegene feindliche Heer anzugreifen und zu schlagen. Wie jener nach dem
großen Tage bei Cannä in eine räthselhafte Unthätigkeit versinkt, und dann,
"ach der Niederlage bei Zama, von Land zu Land flüchtete, und sich zuletzt
^bst den Tod geben muß, um der Schmach des Auslieferns an das stolze
^vm zu entgehen, so vermißt man auch an Napoleon in dem verhängnißvollen
^ahre 1813 die alte Kühnheit, Entschlossenheit und Zuversicht, so muß auch
nach der großen Niederlage bei La Belle Alliance fliehen, und zuletzt seine
^"flucht zu der Großmuth seines stolzen und unversöhnlichsten Feindes nehmen,
am nach einer jahrelangen, schmachvollen Gefangenschaft auf einer wüsten
öelsen-Jnsel einsam und verlaßen in ein Felsengrab zu sinken.
*2. Uebersicht des deutsch-französischen Krieges, 1870—71.
(Nach dem Preußischen Staats-Anzeiger.)
^ Der unterm 28. Januar 1871 zwischen dem Grafen v. Bismarck und
^ales Favre abgeschlossene Waffenstillstand bringt eine gewaltige Kriegs-
Epoch
he von fast siebenmvnatlicher Dauer zu vorläusigem Abschlüsse und regt
vU 0'nern Rückblicke auf die in derselben vollbrachten großartigen Erfolge der
butschen Heere an. Es lassen sich im Verlaufe dieses Feldzuges drei Perioden