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55 Um unsre Hütte grünen sah;
So ist mein langes Leben doch
«Gleich einem heitern Frühlingstag
vergangen, unter Freud' und Lust. —
.Zwar hab' ich auch manch Ungemach
60 Erlitten. Als Dein Bruder starb,
Da flössen Thränen mir vom Aug',
Und Sonn' und Himmel schien mir schwarz.
Oft auch ergriff mich auf dem Meer
Im leichten Kahn der Sturm, und warf
65 Mich mit den Wellen in die Lust;
Am Gipfel eines Wasserbergs
Hing oft mein Kahn hoch in der Luft;
Und donnernd fiel die Flut herab,
Und ich mit ihr. Das Volk des Meers
70 Erschrak, wenn über seinem Haupt
Der Wellen Donner tobt', und fuhr
Ties in den Abgrund. Und mich dünkt',
Daß zwischen jeder Welle mir
Ein feuchtes Grab sich öffnete.
75 Der Sturmwind taucht dabei ins Meer
Die Flügel, schüttelte davon
Noch eine See auf mich herab.
Allein bald legte sich der Zorn
Des Windes, und die Luft ward hell,
80 Und ich erblickt' in stiller Flut
Des Himmels Bild. Der blaue Stör
Mit rothen Augen sah bald
Aus einer Höhl', im Kraut der See,
Durch seines Hauses gläsern Dach;
85 Und vieles Volk des weiten Meers
Tanzt aus der Flut im Sonnenschein;
Und Ruh' und Freude kam zurück
In meine Brust. — Jetzt wartet schon
Das Grab aus mich. Ich fürcht' es nicht.
90 Der Abend meines Lebens wird
So schön, als Tag und Morgen, sein. —
O Sohn, sei fromm und tugendhaft,
So wirst Du glücklich sein, wie ich;
So bleibt Dir die Natur stets schön."
95 Der Knabe schmiegt sich an den Arm
Jrin's, und sprach: „Nein, Vater I nein,
Du stirbst noch nicht! Der Himmel wird
Dich noch erhalten, mir zum Trost."
Und viele Thränen flössen ihm
100 Vom Aug'. — Indessen hatten sie
Die Reusen ausgelegt. Die Nacht
Stieg aus der See, sie ruderten
Gemach der Heimat wieder zu. —
Irin starb bald. Sein frommer Sohn
105 Beweint' ihn lang, und niemals kam
Ihm dieser Abend aus dem Sinn.
Ein heil'ger Schauer überfiel
Ihn, wenn ihm seines Vaters Bild
Vor's Antlitz trat. Er solgete
110 Stets dessen Lehren. Segen kam
Aus ihn. Sein langes Leben dünkt
Auch rhm ein Frühlingstag zu sein.
87. Das Habermuß.
(Nach dem Alemannischen des I. P. Hebel von Th. Echtermeyer.)
Kinder, das Habermuß ist fertig, so kommt denn und esset!
Betet: Aller Augen — und gebt mir ordentlich Achtung,
Daß am rußigen Tops sich keins das Aermelchen schwarz macht.
So, nun esset und fegn' es euch Gott, und wachst und gedeihet;
5 Seht, es hat die Haberkörnlein der Vater im Frühjahr
Zwischen die Furche gesä't mit fleißiger Hand und beegget.
Aber daß sie gewachsen und zeitig geworden, dafür kann
Euer Vater hier nicht, das that der Vater nn Himmel.
Denket nur, Kinder, es schläft ein Keimchen int mehligen Körnlein,
10 Klein gestaltet und zart; nicht regt noch rührt sich das Keimchen,
Nein, es schläft und spricht euch kein Wort, und ißt nicht und trinkt nicht,
Bis es die Furche bedeckt und der aufgelockerte Boden;
Aber sodann in der Furch' und in der befeuchteten Wärme,
Wacht allmählich es auf aus seinem verschwiegenen Schlafe,
15 Streckt die Gliederchen aus und sauget im saftigen Körnlein,
Wie an der Mutter das Kind; es fehlt nur, daß es noch weinte.
Nach und nach wird's größer, und heimlich auch schöner und stärker,
Schlüpft aus den Windeln heraus und streckt ein Würzelchen abwärts,
Tiefer hinein in den Grund, sich Nahrung suchend und findend.
20 Ja und der Vorwitz plagt's, neugierig möcht es auch wissen,
Wie es nun weiter oben wohl sei. — Gar heimlich und furchtsam
Guckt's aus dem Boden heraus — Potz Stern! ich glaub', es gefällt ihm! —
Und der liebe Gott schickt einen Engel hernieder:
„Bring' ihm ein Tröpfchen Thau, und sag' ihm freundlich WillkommenI"
25 Und es trinkt und es schmeckt ihm so wohl, es streckt sich gewaltig.
Aber nun kämmt sich die Sonne, und ist sie gekämmt und gewaschen,
Tritt mit dem Strickzeug schnell sie hervor dort hinter den Bergen,
Wandelt daher den Weg hoch an der himmlischen Straße,
Stricket und schauet herab, wie eine freundliche Mutter
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