Full text: (Siebentes bis neuntes Schuljahr) (Teil 4, [Schülerband])

farbigem Tuch, eine Feder auf dem keck aufgestülpten Hut, schritt daher 
ein gar listig und lustig ausschauender Geselle, ein Spielmann, wie es 
5 schien, denn er führte eine Pfeife bei sich. Der winkte den Kindern gar- 
freundlich und fang mit lauter Stimme: 
„Der Rattenfänger bin ich ja, 
zum Rattenfangen bin ich da. 
Ich fang' sie alle luftig ein, 
10 pfeif' ich nur feine Melodein. 
Drum freut euch, Leutchen, klein und groß, 
bald seid ihr eure Ratten los. 
Heran, heran, herbei, herbei, 
es ist ja keine Hexerei." 
Während des Singens flogen die Fenster und Türen auf, die Leute 
traten heraus, die Kinder drängten, ihren Streit vergessend, dem Manne 
nach, die Erwachsenen folgten, und bald hatte sich eine große Menge 
wiederum auf dem Markte versammelt. Der Spielmann wiederholte 
15 seinen Gesang. 
„Habt ihr es gehört?" riefen sie einander zu, „er will sie fangen 
mit Haut und Haar!" — „Heißa", lachte der Schneider, „wenn er 
ihnen die Wege zeigt, so geb' ich ihm, was er will." — „Ich auch! 
Wir auch!" scholl es von allen Seiten. „Aber wo ist denn der Bürger- 
20 meister? Ruft ihn, holt ihn herbei!" Einige rannten in das Haus 
des städtischen Oberhauptes. 
„Euer Gestrengen l" riefen ein Dutzend Stimmen vor den Türen. 
„Der Mann ist da, der sie fangen, sie ausrotten will mit Stumpf und 
Stiel, Kind und Kegel!" — „Was? Wie? Wen?" rief der Gewaltige, 
25 „seid ihr von Sinnen — dies alles ohne meine Erlaubnis? Werde 
gleich selber sotanen Rattenfänger inspizieren und examinieren!" Und 
so schnell er's fertig brachte, stülpte er seinen großen Hut auf das Haupt. 
„Platz! Platz!" rief er und schob zur Seite, was ihm im Wege 
stand. Gewaltig mit beiden Armen rudernd, erreichte er die Mitte 
30 des Marktes. „Hier bin ich, ich, der Bürgermeister von Hameln! 
Pfeifer, sag' an, was ist dein Begehr?" 
Der Spielmann sah behaglich auf all das Getriebe rings umher 
und lachte ganz wundersam vor sich hin. Seine hagere Gestalt über- 
ragte alle um Kopfeslänge. Gottfried mit den andern Kindern stand 
35 dicht neben ihm. Eiskalt lief es dem Knaben über den Rücken, wie 
konnte nur ein Mensch so wunderlich kichern und lachen! — 
Der Pfeifer sprach: „Gestrenger Herr, mit Vergunst, Ratten ver¬ 
treiben ist keine Kunst. Hab' sie von meinem Meister gelernt, gebt mir, 
was ich verlange, so bin ich euer Diener." — „Potz Blitz!" rief der 
40 Bürgermeister, „das wäre ein Hauptstück. Nichts dünkt uns dafür zu 
viel, einen Goldgulden auf den Kopf denk' ich — wenn ihr wollt!" —
	        
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