Full text: (Siebentes bis neuntes Schuljahr) (Teil 4, [Schülerband])

Augenblicks nach dem Scheiden. Dies Wissen ist die Beglaubigung 
der Freundschaft. 
Ähnliche Empfindungen haben wohl schon jedes reine Gemüt an 
einem schonen, klaren Herbsttage bewegt. Ein solcher gießt über uns 25 
das Verständnis des Scheidens aus. Und das Scheiden ist eine er¬ 
schütternde Stärkung für das sittliche Gemüt. 
Wenn der Herbst begonnen hat, eilt jeder, der reisen kann und 
zu reisen versteht, hinaus, um den längst gefaßten und bis jetzt klug 
hinausgeschobenen Beschluß auszuführen. Die Wärme wird nun nicht 30 
mehr lästig, und der wechselnde Gesichtskreis strahlt erweitert in reinerer 
Klarheit als bisher. Wer dann eine größere Kenntnis der Natur als 
Begleiterin mitnimmt, als dazu erforderlich ist, einen Laubwald von 
einem Nadelwald zu unterscheiden, der darf nun auf einen Genuß 
rechnen, den ihm nur der Herbst zu bieten vermag. 35 
Im Sommer gehört ein seltner Scharfblick dazu, um in dem in 
der Ferne zur Seite unsres Weges liegenden Walde mehr zu sehen 
als verworrene Laubmassen. Wenn er nicht als reiner Eichenwald 
durch zackige Verzweigung seiner zerrissenen Wipfel sich vor den schwellen¬ 
den, runden Laubkronen des Buchenwaldes kenntlich macht, wenn er 40 
ein gemischter Laubwald ist, wie sie so häufig die sanften Abhänge 
unsrer deutschen Landschaften bekleiden, dann bietet sein Anblick im 
Sommer ein zuletzt doch ermüdendes Einerlei, in dem die Deutung der 
Einzelheiten fast unbesiegbare Schwierigkeiten hat. 
Nun aber kommt mit schnellen Schritten die Zeit, die uns nach 45 
dem Walde lockt, die das grüne Einerlei in bunte Mannigfaltigkeit 
auflöst. 
Ein unergründliches Walten, von dem nur das Zurückweichen der 
Wärme und das Schwächerwerden der Lichtwirkung als wirkende 
Glieder uns zum Verständnis kommen, läßt das Leben allmählich ver-50 
armen. Flora muß tief auf den Grund ihres entleerten Füllhorns 
greifen, um noch einige Blümchen über den ersterbenden Boden auszu¬ 
streuen. Von den früheren Botinnen verläßt eine nach der andern 
ihren Platz. Die Tiere suchen einen Zufluchtsort; die einen in wärmeren 
Zonen, die andern im bergenden Schoße der Erde, um sich daselbst zu 55 
langem Schlafe niederzulegen. 
Zuletzt wird das Zögern des Herbstes dem Winter unbequem. Die 
Geduld reißt ihm, und da ihm die Sonne noch nicht erlaubt, die 
Herrschaft anzutreten, so überspringt er die Schranke unter dem Schutze 
der Nacht, und obgleich er am Morgen von der Siegerin wieder ver-60 
trieben wird, so gelang es ihm doch, über Nacht Unheil anzurichten. 
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