Full text: [Teil 4, Abteilung 2 = Achtes (und neuntes) Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 4, Abteilung 2 = Achtes (und neuntes) Schuljahr, [Schülerband])

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II. Natur — Kultur — Kunst. 
um welchen herum dessen sämtlichen Gliedern, Menschen und Vieh, 
ihre besonderen Plätze angewiesen sind; wo eben dieser Raum die 
Jugend nicht bloß zu angestrengter Arbeit, sondern auch zu heiterem 
Tanze und Gesänge versammelt: da mußte ein haushälterischer, an¬ 
hänglicher Sinn zur Familie, eine größere Anhänglichkeit selbst zum 
Vieh, mußte für den Genuß der Freuden des Lebens im engen, be¬ 
kannten Kreise eine festere Neigung entstehen, als wo alles innerhalb 
derselben Wirtschaft zerfahren und getrennt lebt. Wo ferner, wie 
man das im Osnabrückischen und Münsterlande gu sehen Gelegenheit 
hat, die Gehöfte oft ganz zerstreut und vereinzelt auseinander liegen, 
wo der Landmann nicht selten fast eine Viertelstunde bis zum nächsten 
Nachbar, eine Stunde bis zum nächsten Wirtshaufe zu gehen hat, da 
nmß gleichfalls die Häuslichkeit natürlicher, entwickelter, als in jenen 
Gegenden sein, in welchen durch entgegengesetzte Verhältnisse leicht 
Störungen in den Familienkreis kommen. 
Diese Gehöfte bilden kleinere oder größere Bauernschaften, die 
aus 20 bis 70 derselben bestehen, mehrere Bauernschaften wieder ein 
Kirchspiel, dessen gemeinsame Kirche mit dem gemeinsamen Friedhofe 
der Zentralpunkt des Ganzen und über das hinaus in der Ansicht der 
dortigen Bevölkerung eine umfassendere Zentralisation nicht vorhanden 
ist. Mögen auch in unserer Zeit mehrere Kirchspiele zu einem Ge¬ 
richtsbezirke und zu einem landrätlichen Kreise vereinigt sein, auf die 
Denkweise der Menschen ist dadurch nur ein unwesentlicher Einfluß 
hervorgebracht worden; denn jene erstere Einigung, die Einigung in 
Kirchspiele, hat ihren Ursprung in der Religion und bewährt sich 
deshalb als dauerhaft und fest. 
In der Tat, nicht darf man sich Deutschland zu kennen rühmen, 
hat man nicht auch diese westfälisch-niedersächsischen Gaue mit ihren 
isolierten Bauerhöfen, mit ihren prächtigen Wiesenplanen und Eichen¬ 
wäldern kennen gelernt. Es ist wahr, unser Vaterland hat ander¬ 
wärts, besonders in seinem Südwesten und in dem niittleren Westen 
den unbestrittenen Vorzug weit mannigfaltigerer Gliederung, weit 
größerer Individualisierung in Bodenbeschaffenheit und Volksleben; 
aber auch das Weite, Auseinandergezogene, Bequeme, Stetige, Gleich¬ 
mäßige des niedersächsischen Landes übt auf den Betrachtenden 
einen wohltuenden Eindruck, wie es sich in Sitte und Tracht, in 
Sprache und Art der Leute darstellt. Da ist, wenn bedächtiger, oft 
schwerfälliger und plumper, doch sicherer Schritt und Tritt, ruhige 
Bewegung und bewußte, dann und wann bis zu sprödem Trotz
	        
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