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B. Lyrisch epische Poesie. VII. Erzählungen, Balladen, Romanzen.
Der Pilger zu dem Gnadenbilde."
4. Doch strenge blickt der Fürst ihn an
Und spricht: „Du hast als Held gethan;
Der Mut ist's, der den Ritter ehret,
Du hast den kühnen Geist bewähret.
Doch sprich, was ist die erste Pflicht
Des Ritters, der für Christum ficht,
Sich schmücket mit des Kreuzes
Zeichen?"
Und alle rings herum erbleichen.
Doch er mit ed'lem Anstand spricht,
Indem er sich errötend neiget:
„Gehorsam ist die erste Pflicht,
Die ihn des Schmuckes würdig zeiget."—
5. „Und diese Pflicht, mein Sohn",
versetzt
Der Meister, „hast du frech verletzt;
Den Kampf, den das Gesetz versaget,
Hast du mit frev'lem Mut gewaget!" —
„Herr, richte, wenn du alles weißt!"
Spricht jener mit gesetztem Geist;
„Denn des Gesetzes Sinn und Willen
Vermeint' ich treulich zu erfüllen.
Nicht unbedachtsam zog ich hin,
Das Ungeheuer zu bekriegen;
Durch List und kluggewandten Sinn
Versucht' ich's, in dem Kampf zu siegen.
6. „Fünf unsers Ordens waren schon,
Die Zierden der Religion,
Des kühnen Mutes Opfer worden.
Da wehrtest du den Kampf dem Orden.
Doch an dem Herzen nagten mir
Der Unmut und die Streitbegier,
Ja, selbst im Traum der stillen Nächte
Fand ich mich keuchend im Gefechte;
Und wenn der Morgen dämmernd kam
Und Kunde gab von neuen Plagen,
Da faßte mich ein wilder Gram,
Und ich beschloß, es frisch zu wagen.
7. „Und zu mir selber sprach ich dann:
Was schmückt den Jüngling, ehrt den
Mann?
Was leisteten die tapfer'n Helden,
Von denen uns die Lieder melden,
Die zu der Götter Glanz und Ruhm
Erhub das blinde Heidentum?
Sie reinigten von Ungeheuern
Die Welt in kühnen Abenteuern,
Begegneten im Kampf dem Leu'n
Und rangen mit dem Minotauren,
Die armen Opfer zu befrei'n,
Und ließen sich das Blut nicht dauren.
8. „Ist nur der Sarazen' es wert,
Daß ihn bekämpft des Christen Schwert?
Bekriegt er nur die falschen Götter?
Gesandt ist er der Welt zum Retter;
Von jeder Not und jedem Harm
Befreien muß sein starker Arm;
Doch seinen Mut muß Weisheit leiten,
Und List muß mit der Stärke streiten.
So sprach ich oft und zog allein,
Des Raubtiers Fährte zu erkunden;
Da flößte mir der Geist es ein,
Froh rief ich aus: Ich hab's gefunden!
9. „Und trat zu dir und sprach dies
Wort:
Mich zieht es nach der Heimat fort.
Du, Herr, willfahrtest meinen Bitten,
Und glücklich war das Meer durch¬
schnitten.
Kaum stieg ich aus am heim'schen
Strand,
Gleich ließ ich durch des Künstlers Hand,
Getreu den wohlbemerkten Zügen,
Ein Drachenbild zusammenfügen.
Auf kurzen Füßen wird die Last
Des langen Leibes aufgetürmet,
Ein schuppicht Panzerhemd umfaßk
Den Rücken, den es furchtbar schirmet.
107 „Lang strecket sich der Hals hervor,
Und gräßlich wie ein Höllenthor,
Als schnappt' er gierig nach der Beute,
Eröffnet sich des Rachens Weite;
Und aus dem schwarzen Schlunde dräu'n
Der Zähne stachelichte Reih'n;
Die Zunge gleicht des Schwertes Spitze,
Die kleinen Augen sprühen Blitze;
In eine Schlange endigt sich
Des Rückens ungeheu're Länge,
Rollt um sich selber fürchterlich,
Daß es um Mann und Roß sich schlänge.
11. „Und alles bild' ich nach genau
Und kleid' es in ein scheußlich Grau;
Halb Wurm erschien's, halb Molch und
Drache.
Gezeuget in der gift'gen Lache.
Und als das Bild vollendet war,
Erwähl' ich mir ein Doggenpaar,
Gewaltig, schnell, von flinken Läufen,
Gewohnt, den wilden Ur zu greifen;