142
L. Lyrisch epische Poesie. VII. Erzählungen, Balladen, Romanzen.
Ins Wildbad will er reiten, wo heiß ein Quell entspringt,
Der Sieche heilt und kräftigt, der Greise wieder jungt.
3. Zu Hirsau bei dem Abte, da kehrt der Ritter ein
Und trinkt bei Orgelschalle den kühlen Klosterwein.
Dann geht's durch Tannenwälder ins grüne Thal gesprengt,
Wo durch ihr Felsenbette die Enz sich rauschend drängt.
4. Zu Wildbad an dem Markte, da steht ein stattlich' Haus,
Es hängt daran zum Zeichen ein blanker Spieß heraus;
Dort steigt der Graf vom Rosse, dort hält er gute Rast,
Den Quell besucht er täglich, der ritterliche Gast.
5. Wenn er sich dann entkleidet und wenig ausgeruht
Und sein Gebet gesprochen, so steigt er in die Flut;
Er setzt sich stets zur Stelle, wo aus dem Felsenspalt
Am heißesten und vollsten der ed'le Sprudel wallt.
6. Ein angeschoss'ner Eber, der sich die Wunde wusch,
Verriet voreinst den Jägern den Quell in Kluft und Busch;
Nun ist's dem alten Recken ein lieber Zeitvertreib,
Zu waschen und zu strecken den narbenvollen Leib.
7. Da kommt einsmals gesprungen sein jüngster Edelknab':
„Herr Graf! Es zieht ein Haufe das ob're Thal herab.
Sie tragen schwere Kolben, der Hauptmann führt im Schild
Ein Röslein rot von Golde und einen Eber wild." —
8. „Mein Sohn, das sind die Schlegler, die schlagen kräftig drein —
Gieb mir den Leibrock, Junge! — das ist der Eberstein.
Ich kenne wohl den Eber, er hat so grimmen Zorn;
Ich kenne wohl die Rose, sie führt so scharfen Dorn."
9. Da kommt ein armer Hirte in atemlosem Lauf:
„Herr Graf! Es zieht 'ne Rotte das unt're Thal herauf,
Der' Hauptmaun führt drei Beile, sein Rüstzeug glänzt und gleißt.
Daß mir's wie Wetterleuchten noch in den Augen beißt." —
10. „Das ist der Wunnensteiner, der gleißend' Wolf genannt —
Gieb mir den Mantel, Knabe! — der Glanz ist mir bekannt.
Er bringt mir wenig Wonne, die Beile hauen gut —
Bind' mir das Schwert zur Seite! — der Wolf, der lechzt nach Blut.
11. Da spricht der arme Hirte: „Des mag noch werden Rat;
Ich weiß geheime Wege, die noch kein Mensch betrat,
Kein Roß mag sie ersteigen, nur Geißen klettern dort;
Wollt ihr sogleich mir folgen, ich bring' euch sicher fort."
12. Sie klimmen durch das Dickicht den steilsten Berg hinan,
Mit seinem guten Schwerte haut oft der Graf sich Bahn.
Wie herb' das Fliehen schmecke, noch hat er's nie vermerkt;
Viel lieber möcht' er fechten, das Bad hat ihn gestärkt.
13. In heißer Mittagsstunde bergunter und bergauf!
Schon muß der Graf sich lehnen auf seines Schwertes Knauf.
Darob erbarmt's den Hirten des alten, hohen Herrn,
Er nimmt ihn auf den Rücken: „Ich thu's von Herzen gern."
14. Da denkt der alte Greiner: „Es thut doch wahrlich gut,
So sänftlich sein getragen von einem treuen Blut.
In Fährden und in Nöten zeigt erst das Volk sich echt;
Drum soll mau nie zertreten sein altes, gutes Recht."