20
D. Martin Luther.
Man rühmt vom alten Blücher, daß er das Rätsel, wie einer seinen Kopf
küssen könne, gelöst, indem er Gneisenau geküßt. Von solch demütiger
Größe zeugt auch ein Tischgespräch Luthers. Anno 1536 den 1. August
schrieb Dr. Martinus Luther auf seinen Tisch: „Sachen und Worte Philippus;
Worte ohne Sachen Erasmus; Sachen ohne Worte Luther; weder Sachen
noch Worte Carlstadt. Das ist: Was Philippus schreibt, hat Hände und
Füße, die Sache ist gut, so sind die Wort auch gut; Erasmus macht
viel Wort, es ist aber nichts dahinter; Lutherus hat wohl gute Sachen,
aber die Wort sind nicht gut; Carlstadt hat weder gute Sachen noch gute
Wort."
Freundschaft will gute Nahrung haben. Die Freunde in Luthers Haus
nährten ihren Bund mit den besten Dingen. Als Luther mitten in der
Bibelübersetzung war, verordnete er einen eigenen Rat aus den besten
Leuten, welche wöchentlich etliche Stunden vor dem Abendessen in seinem
Hause zusammenkamen. Da brachte denn Luther die alte lateinische und
die neue deutsche Übersetzung mit, Melanchthon den griechischen, Cruziger
den hebräischen Text. Es ward dann eine Stelle vorgenommen und jeder
sagte, was er wußte, nach Eigenschaft der Sprache und der alten Doktoren
Auslegung. Und wunderschöne und lehrhaftige Reden fielen dabei. Der
Arbeit folgte die Erholung. An den langen Winterabenden brachte die
„Kantorei" Leben ins Haus. Luther war nicht der Meinung, daß durchs
Evangelium die Künste sollten zu Boden geschlagen werden, er hoffte für
dieselben von der Reformation heiligen Aufschwung. Unter allen stand
ihm die Musika am höchsten. „Da kann nicht sein ein böser Mut, wo
da singen Gesellen gut," so sang er selbst. „Musicam hab' ich allzeit lieb
gehabt. Wer diese Kunst kann, der ist guter Art, zu allem geschickt. Man
muß Musicam von Not wegen in der Schule behalten. Ein Schulmeister
muß singen können, sonst seh' ich ihn nicht an." Johannes Walther
bezeugt von Luther: „Ich habe gar manche liebe Stunde mit ihm gesungen
und oftmals gesehen, wie der teure Mann so fröhlich im Geiste ward,
daß er des Singens schier nicht konnte müde und satt werden." — Zur
Gesangslust, die im Winter zumal gepflegt ward, kam die sommerliche
Gartenlust. Welch einen verständnisinnigen Verkehr Luther mit der
Kreatur draußen gepflogen, wie er mit seinem Glaubensblick ins Innere
der Natur gedrungen — seine Predigten von der Auferstehung, seine Tisch¬
reden von Gottes Schöpfung bezeugen es. Er kaufte sich zur Pflege dieses
Verkehrs Garten und Acker. Er fischte mit Käthe im Teich. Dem Freunde,
bei dem er Sämereien bestellte, schrieb er: „Wenn der Satan mit seinen
Gliedern tobt und wütet, so will ich ihn verlachen und des Schöpfers
Segen, die Gärten, betrachten und genießen zu seinem Lobe." Im ersten