Johann Gottfried Herder.
47
und wie kann ich's anders als meistens durch die Vergessenheit deiner? —
Ich hingegen, die Mutter der Götter und Menschen, nehme alles, was ich
erzeugte, mit seiner Zusriedenheit in meinen Schoß; sobald es den Saum
meines Kleides berührt, vergißt es alle dein Blendwerk und neigt sein
Haupt sanft nieder. Und dann erhebe, dann nähre ich die ruhig gewordene
Seele mit himmlischem Tau. Dem Auge, das unter deinem Sonnenstrahle
nie gen Himmel zu sehen wagte, enthülle ich, die verhüllte Nacht, ein
Heer unzähliger Sonnen, unzähliger Bilder, neue Hoffnungen, neue
Sterne."
Eben berührte der schwatzende Tag den Saum ihres Gewandes, und
schweigend und matt sank er selbst in ihren umhüllenden Schoß. Sie aber
saß in ihrem Sternenmantel, in ihrer Sternenkrone mit ewig ruhigem
Antlitz.
23. Das Kind der Sorge. ,
Ebenda wie Nr. 22. — 29. Bd. S- 75.
1. Einst saß am murmelnden Strome 5. „Mein ist's! Sie hat mir genommen
Die Sorge nieder und sann: Von meinem Schoße das Kind."
Da bildet' im Traum der Gedan- „Wohlan," sprach Jupiter, „wartet.
ken Dort kommt ein Entscheider,
Ihr Finger ein leimernes Bild. Saturn."
2. „Was hast du, sinnende Göttin?" 6. Saturn sprach: „Habet es alle!
Spricht Zeus, der eben ihr naht. So will's das hohe Geschick.
„Ein Bild von Thone gebildet, Du, der das Leben ihm schenkte,
Beleb's, ich bitte dich, Gott!" Nimm, wenn es stirbet, den Geist,
3. „Wohlan dann! Lebe! — Es lebet! 7. Du, Tellus, seine Gebeine,
Und mein sei dieses Geschöpf!"— Denn mehr gehöret dir nicht.
Dagegen redet die Sorge: Dir, seiner Mutter, o Sorge,
„Nein, laß es, laß es mir, Herr? Wird es im Leben geschenkt.
4. Mein Finger hat es gebildet" — 8. Du wirst, so lang es nur atmet,
„Und ich gab Leben dem Thon," Es nie verlassen, dein Kind;
Sprach Jupiter. Als sie so spracheu. Dir ähnlich wird es von Tage
Da trat auch Tellus hinan. Zu Tage sich mühen ins Grab."
9. Des Schicksals Spruch ist erfüllet.
Und Mensch heißt dieses Geschöpf.
Im Leben gehört es der Sorge,
Der Erd' im Sterben und Gott.